Terror unterm Teppich
Politisch Verantwortliche für das Versagen der Sicherheitsbehörden ducken sich ab in einer »Großen Koalition«
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat inzwischen einiges aufgefahren, um die Anfang November aufgeflogenen rechtsterroristischen Strukturen auszuleuchten. 421 Beamte sind »angesetzt«, um das um die »Zwickauer Zelle« geknüpfte Netzwerk aufzuklären. In den kommenden Wochen wird man weitere 100 Polizisten in die verschiedenen Ermittlungsgruppen eingliedern. Da auch der Verfassungsschutz alle verfügbaren Experten im Einsatz hat, sollte Aufklärung eigentlich rasch gelingen. Doch weit gefehlt. Trotz zahlreicher V-Leute in der Szene weiß man offenbar nicht viel über das Treiben im rechtsextremistischen Teil der Gesellschaft.
Ein Beispiel. Bundesweit sind - so hat das BKA mühsam herausgefunden - 160 Haftbefehle gegen Neonazis nicht vollstreckt. Warum? Weil die Gesuchten untergetaucht sind. BKA-Chef Jörg Zierke beruhigt, dass darunter ja auch Leute seien, die nur wegen ausstehender Unterhaltszahlungen gesucht werden. Doch die Frage, wie viele Rechtsaußen-Kameraden - wie das Zwickauer NSU-Mördertrio - überhaupt im Untergrund verschwunden sind, mögen die BKA-Leute gar nicht gern hören. Weil sie keine Antwort wissen.
Die fehlt auf zahlreiche Fragen. Wo Wissen fehlt, wird behauptet. Anderes wird durch clevere Öffentlichkeitsarbeit überspielt. Aus der »Döner-Mordserie wurden »Ceska-Morde«, um das Gemeinsame der Tötungen an einer Polizistin, eines Anschlags auf ihren Kollegen sowie der Mordserie »zum Nachteil von acht türkischen/türkischstämmigen Opfern und einem griechischen Opfer« (BKA-deutsch) zu betonen. Dabei wird überspielt, dass der dritte Mord, der an einem türkischen Gemüsehändler 2011 in Hamburg, nicht mit der 7,65 mm Ceska-Pistole sondern mit einer 6,35 mm Pistole, einer sogenannten Damenwaffe, begangenen worden ist. Man fand die italienische Bruni-Pistole unter insgesamt 19 Waffen in der ausbrannten Wohnung in Zwickau. Von der bislang nur behauptet wird, dass sie dem Trio als Quartier diente und von Bandenmitglied Beate Zschäpe angezündet wurde. Doch haben sie da wirklich gemeinsam gewohnt? Wasser- und Stromverbrauch sprechen dagegen.
Die junge Frau hatte sich der Polizei gestellt, nachdem ihre beiden Komplizen nach einem Bankraub am 4. November in Eisenach - wie der Generalbundesanwalt vorsichtig bemerkt - »zu Tode gekommen« waren. Seltsam nur, dass Zschäpe noch immer nicht aussagen will. Das legt den Schluss nahe, dass sie im Gefängnis nur Schutz gesucht hat. Vor wem?
Über längere Phasen, so der BKA-Chef, hätten die drei vom NSU »ganz normal am Leben teilgenommen«. Nur wo? Unter anderem in Chemnitz. Was lief da ab? Und wie kam es, dass der Thüringer Verfassungsschutz den Dreien 1999 offenbar - via Rechtsanwalt von Uwe Böhnhardt und dessen Mutter - einen Ausstiegsdeal angeboten hat? Der platzte, weil sich die Staatsanwaltschaft Gera querstellte. Wie verträgt sich das mit dem anonymen Brief, den der Vater des mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos vor dem Abtauchen der drei Neonazis 1998 erhalten haben soll. Darin wird behauptet, Zschäpe sei V-Frau des Verfassungsschutzes gewesen. Beweggrund soll eine mögliche Strafmilderung für einen Verwandten gewesen sein. Im Mai 2000 sollen Verfassungsschützer den steckbrieflich gesuchten Böhnhardt auf einem Supermarkt-Parkplatz in Chemnitz observiert haben. Zu einer Festnahme kam es ebenso wenig wie im März 2002, als die Behörden weitere Hinweise aus Chemnitz erhalten hatten.
Diese Frage und mindestens ein Dutzend weiterer Probleme könnten solide ermittelt und öffentlich geklärt werden. Durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Er kann Zeugen (zur Not zwangsweise) vorladen, unter Eid vernehmen sowie sämtliche Akten anfordern.
Doch inzwischen verlegen Union und SPD mit Zustimmung der in der Koalition gefangenen FDP einen Teppich, unter dem vieles verschwinden kann. Bund-Länder-Kommission heißt er. Das zwölfköpfige Gremium wird schwarz-rot dominiert. Ausgerechnet jenen Parteien, »die während der jahrelangen Falschdeutung der Mordserie die politische Verantwortung getragen haben«, soll die Kontrolle über die Aufklärung der Nazi-Mordtaten sowie des Versagens der Sicherheitsbehörden überlassen werden, empört sich der Linksabgeordnete Wolfgang Neskovic, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums und Ex-Bundesrichter.
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