Di Rupo soll es richten
Nach anderthalb Jahren hat Belgien wieder eine reguläre Regierung
Di Rupo, Wahlsieger im frankophonen Süden Belgiens, hatte sich seit Mai als »Formateur« an der Bildung einer neuen Regierung versucht. Zuvor waren sechs andere Politiker an der Aufgabe gescheitert, eine Einigung zwischen den Sprachgruppen zu erreichen. Auch di Rupo hatte vorletzte Woche im Streit um einen Haushaltskompromiss schon das Handtuch geworfen, doch vor dem Hintergrund des stetig steigenden Risikoaufschlages für die Staatsanleihen des hoch verschuldeten Landes hatte König Albert II. seinen Rücktritt abgelehnt.
Nun ist der 60-jährige Chemiker der erste frankophone Regierungschef des mehrsprachigen Landes seit 1979 und der erste Sozialdemokrat seit 1974. In seiner Koalition sind Sozial- und Christdemokraten sowie die liberalen Parteien beider Landesteile vertreten. Wie viele andere Institutionen sind auch die Parteien in Belgien in einen flämischen und einen frankophonen Flügel gespalten. Gestern wurde die neue Regierung vom König vereidigt. Sie umfasst neben den 13 Ministern sechs Staatssekretäre. Erst nach 20-stündigen Verhandlungen gab es eine Einigung über die Verteilung nach Sprachgruppen. Jetzt besteht das Kabinett neben dem Premier aus jeweils sechs frankophonen und sechs flämischen Ministern. Um dieses Verhältnis hatte es am Wochenende noch heftige Debatten gegeben, da flämische Parteien eine unzureichende Repräsentation befürchteten. Die meisten Minister waren auch Mitglieder der geschäftsführenden Regierung unter Yves Leterme. So wird der bisherige Finanzminister Didier Reynders Außenminister.
In der belgischen Öffentlichkeit ist die Erleichterung groß, zumal in den letzten Wochen die Furcht vor einem Übergreifen der Eurokrise auf Belgien wuchs. Dafür stand vor allem die Entscheidung der Ratingagentur Standard&Poor's Ende November, die Kreditwürdigkeit Belgiens herabzustufen. Belgien ist nach Griechenland und Italien das dritthöchst verschuldete Euroland. So besteht auch kein Anlass für Euphorie. Denn unabhängig von der Zusammensetzung kommen auf die neue Regierung schwere Aufgaben zu. Bereits in der Vorwoche demonstrierten Zehntausende Gewerkschafter in der Hauptstadt gegen die geplanten Einsparungen in Höhe von 11,3 Milliarden Euro. Gefährlich werden könnte dem neuen Premier zudem die parteipolitische Konstellation: Der andere Wahlsieger, die Nationalisten der Neu-flämischen Allianz, ist in der Regierung nicht vertreten. Aus der Opposition heraus kann die N-VA nun weiter Druck ausüben
Doch hinter der neuen Regierung steckt auch eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Vor Elio di Rupo nämlich hat es noch kein Mitglied einer Einwandererfamilie an die Spitze der belgischen Regierung geschafft. Der Sohn eines Minenarbeiters aus den Abruzzen ist zudem der erste bekennende schwule Regierungschef der Welt. Bislang war di Rupo, der die notorisch von Korruptionsaffären belastete Parti Socialiste aus eine tiefe Krise führte, auch Bürgermeister der wallonischen Stadt Mons. In der südlichen Landeshälfte ist er schon länger der beliebteste Politiker. Bereits am Donnerstag soll der neue Premier Belgien erstmals bei einem EU-Gipfel vertreten.
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