Abgeordnete sollen untersuchen

Nazi-Morde: Grüne und LINKE für U-Ausschuss / SPD gibt Verweigerung auf

  • René Heilig und Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach der Linkspartei halten auch die Grünen einen Untersuchungsausschuss des Bundestages für unverzichtbar, um die Ermittlungspannen bei der Mordserie von Neonazis aufzuklären. Doch beiden Fraktionen fehlen elf Stimmen, um einen Ausschuss zu erzwingen. Nun aber will sich die SPD nicht länger verweigern.

Eigentlich ist jetzt alles klar, denn laut Grundgesetz kann und muss der Bundestag auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Heute könnte das Parlamentarische Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr) auf seiner vermutlich letzten Sitzung in diesem Jahr zumindest den Weg dafür frei machen.

Könnte, denn da gibt es möglicherweise ein Problem. Der Vertreter der LINKEN ist krank, Abgeordnetenkollege Steffen Bockhahn wird - ohne Stimmrecht - aushelfen. Plädieren wird er vermutlich für einen Doppelbeschluss: Untersuchungsausschuss und Sonderermittler. Das könnte grüne Unterstützung finden. Die SPD will sich nicht verschließen: »Wenn ein Untersuchungsausschuss ohnehin kommt, wollen wir nicht so dastehen, als wären wir nicht bereit zur Aufklärung.« Sagt der innenpolitische Fraktionssprecher Michael Hartmann, der ein gewiefter U-Ausschuss-Mann ist. Er weiß sehr wohl, dass da einige unbequeme Fragen auf die SPD zukommen, weil große Versäumnisse in den Sicherheitsbehörden in ihre Regierungsverantwortung fallen. Daher hatte die SPD bislang eine Bund-Länder-Kommission favorisiert, der all jene strafgerichtsähnlichen Kompetenzen fehlen, die ein Untersuchungsausschuss nutzen kann.

Einige FDP-Abgeordnete würden zu gern für einen Untersuchungsausschuss stimmen, doch dagegen steht die Räson als Regierungspartei. So schlägt man morgen im PKGr die Einsetzung eines Sonderermittlers vor. Doch ob des linken Krankheitsfalls wird die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Geheimdienstgremium nicht zustande kommen.

Die Union mauert

Und die Union? Die mauert. Der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier (CDU) sagte, zum jetzigen Zeitpunkt sei ein solches Gremium die falsche Antwort. Der Schwerpunkt der offenen Fragen betreffe die Länder. Darüber hinaus drohe Gefahr, dass der Ausschuss wegen der andauernden Ermittlungen ins Leere laufe.

Altmaier untertreibt. Es besteht offenbar die Gefahr, dass die Ermittlungen des Generalbundesanwalts zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) und zur »Zwickauer Zelle« ins Leere laufen. Zwar werden die Medien täglich mit Nachrichten gefüttert, doch entpuppen die sich bislang entweder als bekannt oder kaum bedeutsam. Es hilft wenig, dass Generalbundesanwalt Harald Range zuversichtlich ist, Terrortaten »mit den Mitteln des Rechtsstaates« aufzuklären. Das betonte er gestern vor der Presse und kritisierte dabei die Medien ziemlich unverhohlen. Die Veröffentlichung von Mutmaßungen »nicht berufener Kreise« könne »die Ermittlung der Wahrheit nur stören«.

Ranges Stellvertreter Rainer Griesbaum, langjähriger Anti-Terrorexperte in Karlsruhe, erhofft sich Fahndungsfortschritte von einer Computerfestplatte, die in dem ausgebrannten Haus der Gruppe in Zwickau sichergestellt wurde. Es gebe zwei weitere Videos von der Neonazi-Zelle. Sie stammen vom 9. März und vom 28. Oktober 2001. In einem sei ein Feld mit insgesamt 14 Schaltflächen zu sehen, von denen neun frei sind. Es sei bislang nicht klar, ob insgesamt 14 Morde geplant waren. Und falls ja, wie sich die Anzahl erklärt.

Bislang sind 560 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen. Das Bundeskriminalamt (BKA), das mit den Ermittlungen beauftragt ist, wollte gestern Abend die TV-Sendung »Aktenzeichen XY« nutzen, um mehr über das Terrortrio zu erfahren. Insbesondere möchten die Ermittler herausfinden, wem die drei mit ihrem Wohnmobil auf Camping- und Parkplätzen aufgefallen sind; wo und bei wem sie weitere Autos angemietet haben; wo sie die drei sich nach 1998 aufgehalten haben und wer Kontakt zu ihnen hatte.

Insgesamt zehn Morde werden Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt sowie Beate Zschäpe bislang zur Last gelegt. Zwischen 2000 und 2006 sollen sie acht türkische und einen griechischen Kleinunternehmer ermordet haben. 2007 erschossen sie nach Überzeugung der Ermittler die Polizistin Michèle Kiesewetter.

Demo gegen Rechts

Für die Auflösung des Thüringer Verfassungsschutzes wollen Thüringer Bürgerbündnisse gegen Rechts am späten Donnerstagnachmittag vor dem Erfurter Landtag und direkt vor dem Sitz des Landesamts für Verfassungsschutz demonstrieren. »Wir fordern die lückenlose Aufklärung und öffentliche Aufarbeitung der Rolle des Verfassungsschutzes in den Neonazistrukturen, die Bildung eines Bürgerkommitees zur Auflösung des Verfassungsschutzes, ein Ende der Kriminalisierung antifaschistischer Arbeit«, heißt es in einem Aufruf. Anlass sind die Haushaltsberatungen des Landtags, bei denen auch Mittel für den Verfassungsschutz auf der Tagesordnung stehen.

Die Demonstranten können mit Unterstützung der Linksfraktion rechnen. Deren Vorsitzender Bodo Ramelow hält die bekannt gewordenen Zusammenhänge zwischen der Behörde und der NSU für »Grund genug, diese Behörde aufzulösen und deren Wirken und Verstricken unabhängig und restlos aufzuklären«. Die »Mär vom demokratischen Frühwarnsystem« hätten bürgerschaftlich Engagierte schon lange nicht mehr geglaubt. Ihr Wissen über Rechts beziehe die Öffentlichkeit von antifaschistischen Bürgerbündnissen und Initiativen sowie aufmerksamen Medien, so Ramelow.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.