Es darf keinen Schlussstrich geben
Die Bundestagsabgeordnete Martina Bunge (LINKE) zur Debatte um Rentenüberleitungen
nd: Das Thema Rentenüberleitung wird heute erneut im Bundestag diskutiert. Erstmals nicht auf Initiative der LINKEN, sondern der SPD. Hat bei den Sozialdemokraten ein plötzliches Umdenken stattgefunden?
Bunge: Zumindest teilweise. Nachdem die SPD eine Große Anfrage zu 20 Jahren Rentenüberleitung und Rentenangleichung gestellt hatte und die Antwort der Bundesregierung vorlag, kann das Ganze im Bundestag diskutiert werden. Im Sommer machten die Sozialdemokraten einen Antrag zum Thema, der heute mit diskutiert wird. Unsere 19 Anträge zu Problemen bei der Rentenüberleitung wurden ja bereits im Frühjahr weggestimmt.
Auch mit den Stimmen der SPD?
Es war eine namentliche Abstimmung. Bis auf wenige Ausnahmen hat sich die SPD bei unseren Anträgen enthalten, vereinzelt stimmten Abgeordnete auch mal zu. Aber insgesamt sind die Anträge nicht angenommen worden. Und dann kam aus heiterem Himmel der Vorschlag der SPD, doch eine Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern für ein Rentenabschlussgesetz zu bilden. Da haben wir uns als LINKE gesagt, das Thema lassen wir uns in der Art nicht wegnehmen. Schließlich kämpfen wir seit 20 Jahren gegen das Rentenunrecht. Und der SPD-Antrag hat uns überhaupt nicht überzeugt.
Was stört Sie am SPD-Vorstoß?
Der Antrag soll lediglich verhindern, dass Betroffene wegen der Überleitungsprobleme zum Grundsicherungsamt laufen müssen. Dafür soll ein Härtefall-Fonds eingerichtet werden, der sich aus Steuermitteln speist.
Das klingt doch ganz vernünftig.
Aber es ist nicht mehr als eine noble Geste. Der Antrag bringt den Betroffenen keine Gerechtigkeit und vor allem bringt er keine Gleichstellung von Ost- und Westbiografien. Viele Berufsgruppen bleiben diskriminiert. Das bringt keinen sozialen Frieden.
Wie reagieren Sie auf den SPD-Antrag?
Wir antworten mit einem eigenen Antrag, der am heutigen Freitag ebenfalls zur Diskussion steht. Wir wollen auch eine Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern, aber zudem das ganze Spektrum der Überleitungsprobleme - also Überführungslücken, Versorgungsunrecht bis hin zum Strafrecht - anpacken. Denn die SPD verrät sich selbst, wenn sie von einem Abschlussgesetz spricht.
Was spricht denn gegen einen solchen Schlussstrich? Immerhin kommen keine neuen Betroffenen hinzu. Die DDR gibt es nicht mehr.
Einen Schlussstrich kann man unseres Erachtens nicht ziehen, wenn die Probleme nicht hinlänglich gelöst sind. Und außerdem ist es ein großer Irrtum, dass keine neuen Betroffenen hinzukommen. Solange Menschen in Ruhestand gehen, bei denen auf dem Rentenkonto DDR-Zeiten zu Buche stehen, haben wir das Problem. Und es kommen auch neue Probleme hinzu - ich nenne das: Mix-Biografien. 20 Jahre in der DDR und 20 Jahre danach beschäftigt. Erst am Mittwoch hatte ich in meinem Büro ein Gespräch mit ehemaligen NVA-Angehörigen, die anschließend bei der Bundeswehr waren. Wissenschaftler oder Beschäftigte im öffentlichen Dienst stehen vor ähnlichen Problemen.
Welche Probleme tun sich denn hier auf?
Die Betroffenen kriegen für die DDR-Zeiten die normale Rente. Zusatzversorgungen wurden zum größten Teil liquidiert. In die Zusatzversorgung von Bund und Ländern sind diese Berufsgruppen erst 1997 aufgenommen oder auch später verbeamtet worden. Die Vorverdienstzeiten aus der DDR werden nicht anerkannt. Sie können sich ja vorstellen, was das für ein Kuddelmuddel ist. Es darf hier keinen Schlussstrich geben.
Hat die Bundesregierung erkennen lassen, ob sie zumindest für einige der Berufsgruppen wie etwa Balletttänzerinnen oder Bahnangestellte Lösungen anstrebt?
Die Bundesregierung hat noch nichts vorgelegt, auch nicht für einzelne Berufsgruppen. Es gibt dafür auch keine Anzeichen. Wenn man nachfragt, heißt es, die Sache müsse sorgfältig überdacht werden. Dabei hatten alle nun bereits 20 Jahre Zeit. Von der Angleichung der immer noch unterschiedlichen Rentenwerte in Ost und West ganz zu schweigen. Diese fordern wir übrigens erneut in unserem Antrag, der heute diskutiert wird.
Fragen: Fabian Lambeck
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