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Gemeinsame Lösungen
Wie immer eine Lösung der Krise der Europäischen Union aussehen wird: Sie wird nicht vernünftig und nachhaltig sein auf der Basis eines Sparkurses zu Lasten sozialer, ökologischer und beschäftigungspolitischer Standards und Leistungen, der Veräußerung öffentlichen Eigentums, der Privatisierung sozialer Sicherungssysteme, eines Unterlaufens demokratischer Regeln und der Errichtung neuer Hierarchien in Europa.
Genau das ist aber vor einigen Tagen auf dem Brüsseler EU-Gipfel beschlossen worden. Die mehr als 50-jährige Dame EU bekam einen neoliberalen Neustart hin als Fiskal- und Steuerunion verordnet. Der Zuchtmeisterin Angela Merkel gelang es zunächst, Nicolas Sarkozy, den wahlkämpfenden französischen Staatspräsidenten, zu disziplinieren. Anschließend schwor das Duo die anderen Regierungschefs auf ihre Linie ein und setzte sich im Wesentlichen durch.
Es gelang ihnen nur nicht, die Öffnung der EU-Verträge zu erzwingen. Abgesehen von den Briten fürchten die anderen Regierungschefs die dafür notwendigen parlamentarischen Verfahren und Volksentscheide noch mehr als »Merkozy«. Nun also gibt es einen Sondervertrag, der im Eilverfahren bis zum Frühjahrsgipfel erarbeitet und dann durch den Rat festgezurrt werden soll. Die Losung lautet jetzt: Kontraproduktive Regeln einhalten, die Einhaltung kontrollieren und bei Nichteinhaltung bestrafen. Dafür soll auch der Europäische Gerichtshof Teil der Exekutive werden.
Aber auch den anderen EU-Institutionen weist insbesondere die deutsche Kanzlerin ihren neuen Platz zu. Im Verfahren zur Erarbeitung eines Sondervertrages will Merkel die EU-Kommission »einbinden«, die nationalen Parlamente und das Europaparlament »angemessen beteiligen«. Nach Merkels Gnaden darf das EP den Entstehungsprozess des neuen Vertrags also beobachten. Die EU soll nach Merkels Willen neu geordnet werden.
Im Gegensatz dazu muss es um die gemeinsame Entwicklung von Lösungen aus der Krise gehen! Diese sollten auch das für das Funktionieren der EU wichtige Verhältnis von Solidarität und Subsidiarität einschließen. Stattdessen werden demokratisch legitimierte Regierungen wie in Italien und in Griechenland durch sogenannte Wirtschafts- und Finanzexperten ersetzt, die die Schockwirkung ausnutzen und Spardiktate umsetzen. Demokratie wird oft nicht schön gefunden, weil stets mit Geräusch verbunden (frei nach Wilhelm Busch).
Dabei handelt es sich keineswegs einfach nur um Merkels Reaktion auf den Druck der Märkte. Schon in ihrer Brügger Rede im November letzten Jahres warb sie für ihre Idee von der »Unionsmethode«. Sie exerziert vor, wie sie sich einen effektiveren Entscheidungsprozess vorstellt. Die im Lissabonner Vertrag vorhandenen, aber unzureichenden Mitentscheidungsrechte des Europaparlaments nerven sie.
Seitdem kann man den Machtkampf zwischen den Institutionen der EU und die Auseinandersetzung um die Rechte der EU-Parlamentarier, die ständig in Frage gestellt werden, beobachten. Übrigens auch die der nationalen Parlamente. Ausgeschlossen, dass weder linke Parteien noch Gewerkschaften auf diese Entmündigung der gewählten Volksvertreter reagieren! Peinlich ist zudem, dass sich ein gewählter Präsident des Europaparlaments beim Gipfel mit der Rolle als Dekoration begnügte. Umso wichtiger ist es, jetzt einen neuen Präsidenten zu wählen, der die Rechte des Parlaments gegenüber der Ratsherrschaft bedingungslos verteidigen und es gleichzeitig für die neuen sozialen Bewegungen öffnen sollte. Jemand, der sich in der Tradition des langjährigen Abgeordneten und Vordenker des europäischen Föderalismus Altiero Spinellis sehen müsste.
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