Latente Bürgerkriegsgefahr in Irak

US-Truppen hinterlassen ethnisch-religiös zerklüftetes Land

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 2 Min.
Einen Tag nach dem Abzug der letzten US-Soldaten steuert die irakische Führung auf eine große Konfrontation zu.

Nach dem Abzug der letzten US-Truppen aus Irak am Sonntag droht dem Land nach Einschätzung des Nahostexperten Jochen Hippler ein Bürgerkrieg. »Diese Gefahr ist latent vorhanden«, sagte der Politikwissenschaftler der Universität Duisburg-Essen. Er verwies auf die Auseinandersetzungen zwischen schiitischen und sunnitischen Extremisten sowie lange zurückgedrängte Konflikte zwischen der arabischen und der kurdischen Bevölkerung.

In den USA hält indessen die Diskussion über in der »New York Times« (NYT) veröffentlichte Geheimprotokolle über ein Massaker an, die ein Reporter auf einer Müllkippe bei Bagdad gefunden hatte. Auf rund 400 Seiten sind Verhöre mit US-Marines, Fotos und handschriftliche Notizen der Soldaten dokumentiert. Beim US-Militär habe man offenbar »die Ermordung von 24 unbewaffneten Irakern, darunter Frauen, Kinder und ein 74-jähriger Mann im Rollstuhl als Routine« angesehen, so die NYT. Der »Vorfall« sei »der Preis für das Geschäft«, das die US-Armee in Irak zu erledigen habe, gab der damalige Kommandeur für die Anbar-Region, Generalmajor Steve Johnson zu Protokoll.

Die 400 Seiten US-amerikanischer Geheimdokumente auf einer Müllkippe sind symbolhaft für das, was die US-Armee nach fast neun Jahren Krieg und Besatzung den Irakern hinterlassen. Am vergangenen Samstag meldete die irakische Regierung, sie habe mit der Übergabe der Al-Imam-Ali-Militärbasis bei Nasiriya nun wieder alle 505 Militärbasen des Landes unter Kontrolle.

Auf bis zu 130 000 schätzt die Internetplattform Iraq Body Count die Zahl der getöteten Zivilisten seit der US-Invasion am 20. März 2003. Andere Quellen gehen von bis zu einer Million zivilen Toten aus. Mehr als vier Millionen Iraker flohen vor der Gewalt, die meisten nach Syrien, Jordanien, Libanon, Türkei, Iran und in die Golfstaaten. Rund 1,5 Millionen Iraker gelten als Inlandsvertriebene.

Die US-Besatzungsmacht zerteilte Irak nach einem ethnisch-religiösen Proporz und schürte damit Konflikte zwischen Arabern und Kurden, zwischen Christen, Sunniten und Schiiten, analysiert der Wissenschaftler Raidar Visser in einem Fazit für den »International Herald Tribune«. Irak sei heute instabiler als vor zwei Jahren. Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnde Grundversorgung mit Strom und Wasser, schlechte Bildung, schlechte und teure Gesundheitsversorgung haben das Land um Jahrzehnte zurückgeworfen. Vor der Invasion hatten 13 Jahre lang UN-Sanktionen Irak isoliert, wirtschaftlich und sozial zerrüttet.

Dabei basierte die Invasion Iraks auf einer Lüge. Irak besaß keine Massenvernichtungswaffen. Keiner der für den Irak-Krieg verantwortlichen Politiker wie George Bush oder Tony Blair musste sich jemals vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten, alle Klagen wurden abgewiesen.

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