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Wieso sind wir grausam?
Krimiautor Ian Rankin fragt nach den Wurzeln der Gewalt / Von dem 51-jährigen Schotten ist der zweite Fall um Inspektor Malcolm Fox erschienen
nd: Sie haben den mysteriösen Tod eines schottischen Ultranationalisten zum Anlass eines Romans genommen. Was interessiert Sie an dem historischen Fall?
Rankin: Vor einiger Zeit stieß ich auf einen Zeitungsartikel, der den angeblichen Selbstmord des Anwalts, Politikers und Atomkraftgegners Willie McRae aus dem Jahr 1985 erwähnte. Es war die Zeit der großen Proteste gegen die fortschreitende Umweltverschmutzung, gegen strategische amerikanische Atomraketen im Vereinigten Königreich etc. Terroristen von der Scottish National Liberation Army schickten Anthrax an Politiker und verübten Brandanschläge auf Parteizentralen. Prinzessin Diana und Margaret Thatcher erhielten sogar Briefbomben. Die Ängste von damals sind mittlerweile durch neue Ängste ersetzt worden sind. Es scheint, als könnten wir ohne Angst nicht existieren.
Existiert die Scottish National Liberation Army heute noch?
Nein, das glaube ich nicht. Nachweislich aktiv war sie bis in die 90er Jahre. Als Prinz William an der St. Andrews-Universität studierte, schickte die Scottish National Liberation Army Pläne der Uni und Informationen über Williams Aufenthaltsort an die IRA in Nordirland. In der Hoffnung, sie würden einen Anschlag auf ihn verüben. Es war nur eine kleine Gruppe von schottischen Terroristen, ohne einen starken Anführer und ohne überzeugende Philosophie.
Was ist aus diesen Leuten geworden?
Einige der ehemaligen Terroristen gehören heute zum politischen Mainstream der Nationalpartei, die seit 2011 eine Mehrheit im Schottischen Parlament hat. Sie sind also mitverantwortlich für unser Land.
»Die Sünden der Gerechten« ist das zweite Buch um Malcolm Fox von der Abteilung für Innere Ermittlungen. Was macht den Reiz dieser Figur aus?
Ein Polizeidetektiv ist aus meiner Sicht die geeignetste Figur, um einigermaßen realistische Romane über gegenwärtige gesellschaftliche Themen zu schreiben. Denn ein Ermittler kommt mit allen Schichten in Berührung.
Edinburgh, Hintergrund Ihrer Krimis, ist nicht die Stadt der großen Gangster und des organisierten Verbrechens.
Edinburgh ist ein Mikrokosmos der Welt. Es ist eine Jekyll-&-Hyde-Stadt. Robert Louis Stevenson wurde hier geboren, Vorbild für seine Romanfigur Dr. Jekyll und Mister Hyde war ein angesehener Geschäftsmann namens William Brodie, der nachts auf Raubzug ging und am Galgen endete.
Mit meinen Kriminalromanen stelle ich immer wieder die Frage: Wieso sind Menschen so grausam zueinander? Mit dem Alter werden meine Bücher immer politischer. Ich mache mir Gedanken darüber, in welchem Zustand ich unseren Planeten einmal meinen Kindern hinterlassen werde.
Gäbe es weniger Gewalt, wenn wir uns deren Ursachen mehr bewusst machen würden?
Gewalt hat viele Ursachen, von psychischen Störungen über Frustrationen bis zu verzweifelten Lebensumständen. Der Kapitalismus spielt dabei sicher eine bedeutende Rolle. Fragen: Olaf Neumann
Ian Rankin: Die Sünden der Gerechten. Ein Fall für Malcolm Fox. Manhatten, 512 S., geb., 19,99 €
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