Trutzburg Gymnasium
Die Gymnasial-Lobby in Deutschland muss derzeit an mehreren Fronten kämpfen. Zum einen muss sie verhindern, dass im Zuge der Harmonisierung europäischer Bildungsabschlüsse berufliche Abschlüsse dem deutschen Abitur gleichgestellt werden. Ab nächstes Jahr sollen in Deutschland - analog zu entsprechenden Regelungen in anderen europäischen Staaten - Bildungsabschlüsse auf einer Skala von 1 bis 8 eingeordnet werden. Während im europäischen Ausland eine abgeschlossene Berufsausbildung und das Abitur gleichermaßen auf 4 (»vertieftes Allgemeinwissen« und »Fähigkeit, im Team zu arbeiten«) qualifiziert werden, hat die Kultusministerkonferenz (KMK) auf Druck der Gymnasial-Verbände das deutsche Abitur eine Stufe höher als den Berufsabschluss auf Level 5 eingeordnet (»Fähigkeit, Arbeitsprozesse zu planen und andere anzuleiten«).
Man kann es erheiternd zur Kenntnis nehmen, dass nach Meinung der KMK 18-Jährige in Deutschland bereits über Führungsqualitäten verfügen, doch die Sache ist zu ernst. Kaum wurde die KMK auf Linie gebracht, droht der Gymnasial-Lobby neues Unheil aus Brüssel. Die Europäische Kommission will die Ausbildung des Pflegepersonals vereinheitlichen. Angehende Krankenschwestern und -pfleger sollen künftig eine Schulbildung von mindestens zwölf Jahren vorweisen müssen. In 24 der 27 Mitgliedstaaten ist das Abitur zwingende Voraussetzung für solch eine Ausbildung, die zudem als akademisches Studium absolviert werden muss. Die Bundesregierung dagegen möchte am deutschen Sonderstatus nicht rütteln und beharrt auf einer lediglich zehnjährigen Schulpflicht für angehende Pflegekräfte. In der Trutzburg des deutschen Bildungsbürgertums versteht man keinen Spaß, wenn das Gymnasial-Privileg angetastet werden soll!
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