Drüben wartet - der Raubvogel

Chemnitz: Retrospektive für Françoise Gilot

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.
»Ich glaube an die Kunst als Schutzschild gegen Wahnsinn und Verzweiflung.«
Françoise Gilot
Françoise Gilot

Stolz wie ein völlig ergebener Verehrer spannt ein kleiner Mann mit Rundschädel und Shorts den Strandschirm über eine strahlende Schöne. So zu sehen auf dem umwerfenden, an einen Bacchantenzug gemahnenden Foto, das Robert Capa 1948 von Picasso mit Françoise Gilot an der Côte d’Azur schoss.

Wer weiß schon, dass die anmutig wie selbstbewusst Schreitende bereits vor ihrem Leben mit dem vierzig Jahre älteren Picasso eine ernstzunehmende Malerin war - und es bis heute ist? Überdies die einzige, die von sich aus die Beziehung mit dem Genie kappte, worüber Picasso so gar nicht »amused« war und seinen Galeristen fortan auferlegte, keines ihrer Werke je wieder dort auszustellen. Und in den 1960er Jahren versuchte er, den Druck von Gilots Biografie »Mein Leben mit Picasso« juristisch zu verhindern. Doch aushebeln konnte er ihren künstlerischen Furor nicht: Bis heute hat Gilot rund 1500 Bilder gemalt und dazu mindestens 5000 grafische Blätter geschaffen.

Im Unterschied zu so mancher Picasso-Gespielin war sie durch ihre Kreativität zuverlässig gewappnet gegen ihn: »Ich glaube an die Kunst als Schutzschild gegen Wahnsinn und Verzweiflung.« Zu Ihrem 90. Geburtstag wollte die noch immer emsige und resolute Gilot aus New York nach Chemnitz reisen, um die hier eigens für sie eingerichtete Retrospektive ihres grafischen Werks zu eröffnen. Leider vereitelte dies ihr Leibarzt - der Herzrhythmus schlingere. Immerhin konnte die betagte Dame zuvor gemeinsam mit Direktorin Ingrid Mössinger vierzig Werke auswählen. Bereits 2003 war in Chemnitz Gilots malerisches Œuvre zu studieren - zum ersten Mal in einem europäischen Museum.

Vergleicht man diese Gemälde nun mit ihren Zeichnungen, fällt auf, dass die Ersteren weit homogener in Stil und Thematik sind. Dominieren hier weitgehend abstrakte Motive in prononciert kräftigen Farben, die ihre vegetabilen Ursprünge nicht verleugnen, so ist ihr grafisches Repertoire vielfältiger, es regieren das Figürliche und das Fragile.

Als sie in den 1940er Jahren ihre Karriere begann, spielten die Fehden zwischen Vertretern der Abstraktion und jenen der Figuration noch keine Rolle. Die Pariser Szene beherrschten die »monstres sacrés«: Matisse, Picasso, Mirò und Léger. Nicht ohne Witz zeigt sie »P. P., aus dem Gedächtnis gemalt« (1946) als vierschrötigen Schädel mit den legendären Mandelaugen, der in seiner kubistischen Kantigkeit an einen römischen Feldherrn gemahnt. Gilot beteiligte sich 1945 an der Ausstellung der Gruppe »Réalités Nouvelles«, die den Anspruch erhob, mit ungegenständlicher Kunst eine eigene Wirklichkeit zu kreieren. Im Unterschied zu Nicolas de Staël etwa reklamierte sie für sich die freie Wahl zwischen »abstrakt« und »figurativ«.

Ihr frühes Selbstporträt »Ein fragender Blick« (1945) scheint mit forschenden Augen darauf zu insistieren, nicht vordergründig als Muse berühmter Kollegen herzuhalten, sondern als ernstzunehmende Künstlerin wahrgenommen zu werden. Weit stärker als Picasso sieht sich Gilot in der französischen Tradition verwurzelt, wie die langgezogenen - ja, eleganten - Konturen bezeugen. Hier gibt es Affinitäten zu Interieurs und Bildnissen von Matisse.

Meist bleibt der gegenstandsgebundene Ursprung ihrer gestalterischen Verdichtung erahnbar, wie etwa beim Aquarell »Mikrokosmos« (1983), in dem sich kleine zoomorphe Zellverbände identifizieren lassen. Biomorphe Formen bis zur Ironisierung bestimmen die Kreidezeichnung ihres Söhnchens »Claude mit einer Banane«. Vexierhaft und komisch wird es in ihren Tuschzeichnungen der 70er Jahre, wenn ein Frosch zur Großattacke auf zwei Fliegen ansetzt. Etwas eiernd strampelt sich 1985 ein Fahrradfahrer in »Schon wieder zu spät für die Party«, dessen Vogelkopf ein Verwandter von Max Ernsts Alter Ego »Loplop« zu sein scheint.

Auffallend ist hier wie in zahlreichen anderen Bildern die Bedeutung des sich ausdehnenden Binnenraumes, der gleichermaßen Leere bedeuten kann wie Zwischen- oder Spielraum. Bedeutet die Passion der Kunst letztlich Lebenslustverzicht? Vereitelt sie harmlose Auszeiten wie Partys? Mel Yoakum, Kurator des Gilot-Archives, bringt deren Kunstintentionen auf den Punkt: »Was für sie das Innerste der Kunst ist? Die Fähigkeit, eine gleichzeitig persönlich und archetypisch bedeutsame Aussage zu treffen, ohne deren Inhalt direkt darzustellen.«

An kafkaeske Welten lässt ihr Spätwerk denken. Da balanciert in »Falkenhorst« ein Strichmännchen über eine beängstigende Felskluft, überwindet sie auf dem schmalen Grat eines Floretts. Aber auf der rettenden Seite lauert schon der übermächtige Raubvogel. Das Bild geht auf einen Angst-Traum ihrer Jugend zurück. Gilot will unsere Fantasie herauskitzeln, zwingt zur Auseinandersetzung. Und sie ist genervt vom heutigen Kunstbetrieb, in dem oft »Künstler nur Pointen setzen. Sie sind clever, schlau, aber nicht intelligent. Und das kann ich nicht ausstehen.« Über die Hunderte von Pillen, die Damien Hirst in einen Glasschrank legt, meint sie: »dann kann man das vielleicht amüsant finden - aber doch wohl nicht länger als für zwei Minuten!«

Kunstsammlungen Chemnitz, Françoise Gilot zum 90. - Zeichnungen 1941-2010. Bis 19. 2.

Francoise Gilot: »Falkenhorst«
Francoise Gilot: »Falkenhorst«
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