Schwarz-gelbe Dauerbaustelle

Die Bundesregierung streitet wieder - dieses Mal über die Vorratsdatenspeicherung

Seit das höchste deutsche Gericht 2010 die Vorratsdatenspeicherung kassiert hat, konnte sich die Bundesregierung nicht auf eine Neuregelung einigen. Jetzt droht die EU-Kommission Deutschland mit Geldstrafen.

Wer glaubt, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung kurz nach Weihnachten etwas zur Besinnung kommt und das Jahr 2011 in aller Ruhe ausklingen lässt, hat sich getäuscht. Ein Dauerbrenner im koalitionsinternen Gezänk hat sich zwischen den Jahren zurückgemeldet: die Vorratsdatenspeicherung. Nicht ganz zufällig, denn am Dienstag ist eine Frist der Europäischen Union verstrichen, die die Bundesregierung auffordert, eine Richtlinie zur Speicherung von Internet- und Telefonverbindungsdaten umzusetzen.

Das bringt die EU-Kommission regelrecht auf die Palme. Man werde die Untätigkeit Deutschlands nicht mehr hinnehmen, heißt es aus Brüssel - und erwägt den Gang vor den Europäischen Gerichtshof. Die »Bild«-Zeitung spekuliert bereits über harsche Sanktionen gegen die Bundesrepublik. Von einer Pauschalstrafe über elf Millionen Euro ist die Rede, plus einem Zwangsgeld von einer Million Euro - pro Tag.

Weitreichende Befugnisse für die Behörden

In der Richtlinie steht geschrieben, dass die Telekommunikationsdaten aller EU-Bürger für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden müssen. Sie wird zur Zeit überarbeitet, 2012 soll die überarbeitete Fassung vorliegen.

Die Vorratsdatenspeicherung soll helfen, Straftaten aufzuklären und zu verhindern. »In vielen Tatkomplexen gibt es als Ermittlungsansatz nur elektronische Spuren und sonst nichts«, meint Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages. Würden diese Spuren in kürzester Zeit gelöscht, griffen die Behörden ins Leere. Die Morde des Zwickauer Nazitrios zeigten, wie unverzichtbar die Speicherung sei, so Bosbach.

Die Christdemokraten forderten bislang die vorsorgliche Speicherung der Daten für sechs Monate. Davon ist man offenbar abgerückt. Die CDU habe Kompromissbereitschaft erkennen lassen und eine Speicherzeit von vier Monaten angeregt, sagte Generalsekretär Hermann Gröhe der WAZ-Mediengruppe. »Wir müssen den Sack zumachen«, erklärte er mit Blick auf die bockige FDP.

Die Forderung aus dem Unionslager passt der zuständigen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nämlich gar nicht. Sie will die Daten nur nach einem konkreten Anfangsverdacht für eine Straftat speichern (»Quick Freeze«). Auch die Drohgebärden der EU beunruhigen sie offenbar wenig. Strafzahlung könne es erst geben, wenn Deutschland vom Europäischen Gerichtshof verurteilt werde, meint die Politikerin. Liege die neue Richtlinie im kommenden Jahr vor, werde sie in nationales Recht überführt. Von der CDU wird dieses Abwarten als ein Spiel auf Zeit gedeutet.

Rückendeckung bekommt die Ministerin von den Piraten. Seine Partei begrüße, dass Leutheusser-Schnarrenberger der EU die »kalte Schulter« zeige, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei, Bernd Schlömer, im »Hamburger Abendblatt«. Auch Petra Pau, Vorstandsmitglied der Linksfraktion im Bundestag, spricht sich gegen die Vorratsdatenspeicherung aus. Durch sie werde der »demokratische Geist des Grundgesetzes« auf den Kopf gestellt, sagt Pau. »Dieses Grundübel wird auch mit Verweis auf die EU nicht besser, im Gegenteil.«

Bundesverfassungsgericht als Übeltäter

Die Reform der Vorratsdatenspeicherung der Bundesregierung eingebrockt hat das Bundesverfassungsgericht. Es kassierte die bisherige Regelung, die noch aus Zeiten der Großen Koalition bestand. Seitdem werden in Deutschland nicht mehr pauschal sechs Monate lang Daten gespeichert. Nota bene: Eine der Kläger(innen) war Leutheusser-Schnarrenberger, die damals noch die harte Oppositionsbank drücken musste.

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