Runder Tisch in Moskau?
Russlands Opposition will mit der Regierung verhandeln
Kasjanow, selbst Ministerpräsident in Putins erster Amtszeit (2000-2004) gehört heute zur Führung des Bündnisses Solidarnost, das die Proteste gegen die angeblich gefälschten Parlamentswahlen am 4. Dezember koordiniert. Auf der bisher letzten großen Kundgebung am vergangenen Sonnabend in Moskau hatte Alexej Kudrin, von Präsident Dmitri Medwedjew im Herbst als Finanzminister gefeuert, von Putin dennoch als Freund bezeichnet, seine Vermittlung für den »Dialog zwischen Macht und Gesellschaft« angeboten. Konkrete Vorschläge dazu, kündigte Kasjanow an, werde er Kudrin binnen zwei Tagen übergeben. Ebenso zu »Format und Plattform« des Dialogs.
Kasjanow schlägt dazu den von ihm und anderen am 12. Dezember - dem Tag der russischen Verfassung - gegründeten Runden Tisch vor. Ihm gehören vor allem Kulturschaffende, Wissenschaftler und Vertreter der Zivilgesellschaft an. Ziel, heißt es im Gründungsmemorandum, sei es, eine »gewaltsame Entladung der sozialen und politischen Spannjungen im Lande zu verhindern«.
Der »Runde Tisch 12. Dezember« soll am 26. Januar erstmals tagen. Eingeladen sind auch die Führer der Proteste. Darunter der Blogger Alexej Nawalny, in dem vor allem junge Leute, die sich über virtuelle soziale Netze organisieren, ihren Hoffnungsträger sehen. Nawalny ist in der Vergangenheit allerdings auch durch nationalistische Äußerungen aufgefallen.
Der Kreml, glauben Experten, werde Wjatscheslaw Wolodin entsenden, der diese Woche als Nachfolger Wladislaw Surkows zum Vizechef des Präsidentenamtes ernannt wurde und sich dort um Innenpolitik kümmern soll. Putin selbst hatte am Dienstag erklärt, Kreml und Regierung seien zwar zum Dialog mit den Protestlern bereit, nicht jedoch mit deren derzeitigen Führern. Die seien nicht allgemein anerkannt, hätten kein einheitliches Programm und seien nicht fähig, ihre Forderungen deutlich zu formulieren.
Damit kommt er der Wahrheit ziemlich nahe. Der »Runde Tisch 12. Dezember« ist bereits die vierte Organisation, die die Protestler nach den umstrittenen Parlamentswahlen gegründet haben. Und nach Medwedjews Ankündigung, die Bedingungen für die Zulassung von Parteien zu lockern, haben bisher schon drei prominente Oppositionspolitiker - darunter auch Nawalny - die Gründung eigener liberaler Parteien angekündigt. Dazu kommt die von Kasjanow, Boris Nemzow und anderen Neoliberalen bereits gegründete, aber bisher nicht zugelassene Partei der Volksfreiheit. Alle vier dürften wegen ähnlicher Programmatik und weil sie um die gleichen Zielgruppe werben, einander einen harten Verdrängungswettbewerb liefern.
Schon Kasjanows Initiative, dem Kreml und der Regierung über Kudrin ein konkretes Verhandlungsangebot zu übergeben, wurde von anderen Gruppen als »nicht konstruktiv« gerügt. Kasjanow und Co. - fürchten die Basisdemokraten - hätten Putin, bevor sie in Ungnade fielen, selbst an prominenter Stelle gedient und könnten sich erneut mit der Macht arrangieren.
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