»Rubikon überschritten«

  • Klaus Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer das Große Latinum absolviert hat, weiß, der Rubikon wurde durch den römischen Bürgerkrieg bekannt, den Gaius Iulius Caesar ab 49 v. Chr. gegen Gnaeus Pompeius Magnus führte. Als der Römische Senat am 7. Januar 49 v. Chr. beschloss, dass Caesar sein Heer entlassen und seine Befehlsgewalt für Gallien und Illyrien, niederlegen müsse, ehe er erneut für das Konsulat kandidieren dürfe, überschritt dieser am 10. Januar 49 v. Chr. den Rubikon, der damals die Grenze zwischen Gallia Cisalpina und Italien bildete. Die bewaffnete Überquerung des Flusses in Richtung Süden - und damit in Richtung Rom - war gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung an den römischen Senat. Caesar war sich bewusst, dass es ab diesem Punkt kein Zurück mehr gab, was er in dem berühmten Zitat »alea iacta est« (»Der Würfel ist geworfen worden«) zum Ausdruck brachte.

Nun hat also unser präsidialer Dressman dieses Zitat vom »Rubikon« in aller Öffentlichkeit gegenüber dem »Bild«-Chefredakteur bemüht. Wahrscheinlich wollte er seine altphilologische Bildung unter Beweis stellen. Schon früher prahlte ein anderer mit dieser Bildung, indem er von »spätrömischer Dekadenz« redete, und dabei nicht bedachte, dass sich sowas gegen einen selber kehren könnte. Nun dieses Mal Herr Wulff. Auch er bedachte nicht, dass sein historischer Vergleich wie ein Bumerang zurückkehren würde: Wer den Rubikon überschreitet, löst einen Bürgerkrieg aus, bricht sozusagen ein Tabu. Aber nicht Herr Diekmann ist dieser Tabubrecher, sondern der Zitategeber selber, denn er offenbarte ein seltsames Demokratie- und Pressefreiheitsverständnis, wenn er für sich Sonderrechte forderte und Journalisten mit Strafe drohte. Ja, Herr Wulff überschritt in der Tat den Rubikon. Noch vor Tagen tönte er, die »Pressefreiheit« sei ein hohes Gut - und nun das! Das nach all den grauen Geldgeschäften, die man zwar jedem Privatmann verzeiht, nicht aber einem herausgehobenen Politiker.

Soll er zurücktreten? Ich finde, seine Trainerin sollte ihn vom Spielfeld nehmen - wegen Foul-Spieles. Der Einwechsler, ob Gauck oder ein anderer, kann sich immer schon warmlaufen. Ja, es ist ein Spiel. Es ist ja leider alles nur ein Spiel. Und das liegt an den »Vätern« des Grundgesetzes und unserer Präsidialordnung, die sie schufen als »Warnung« vor Weimarer Verhältnissen, in Wahrheit aber, um den politischen Parteien ein ungestörtes Schalten und Walten zu ermöglichen. Das ist doch die Wahrheit. Und nun haben wir dieses sonderbare Präsidentenamt am Halse, welches ausschließlich als moralische Instanz daherkommen soll. Wenn dann mal einer »für zu leicht befunden« wird, offenbart sich das Parteienspektakel in seiner ganzen Erbärmlichkeit. Wäre es nicht ehrlicher, zu sagen: Herr Wulff, als moralisches Vorbild taugen Sie nicht, machen Sie was anderes … aber nein, die große Trainerin hat eines von ihrem Ockersheimer Lehrmeister gelernt - Aussitzen, Maulhalten, Gras säen. Das versucht sie auch dieses Mal - allerdings nur so lange, wie es sich die Presse gefallen lässt. Denn auch die systemstützende große »Bild« wird jetzt beweisen müssen, was stärker ist - die Pressefreiheit oder das Parteiensystem. Mal sehen. Es bleibt spannend, wenn man auch dabei als Bürger die allerletzten Illusionen verliert.

Was hat Cäsar getan? Er hat sie alle abgesetzt und verjagt und sich als Retter des Vaterlandes aufgespielt. Wäre das nicht eine Option, Herr Dieckmann? »O tempera - o mores«! Ein, wie ich finde, passenderes und aktuelles altrömisches Zitat.

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