Wenn der Souverän spricht, spricht er verbindlich
Gutachter Martin Morlok hält auch konsultativen Mitgliederentscheid der LINKEN über die Parteiführung für unzulässig
Das Gesetz installiert einen Parteitagsvorbehalt für die Wahl der Vorsitzenden (und weiterer wichtiger Funktionsträger). Die Rechtfertigung für diese Vorgabe liegt im Gesetzgebungsauftrag und der Gestaltungsermächtigung an den Bundesgesetzgeber durch Art. 21 Abs. 3 GG. Der Gesetzgeber hat, so könnte man argumentierten, die für die Parteien geltende Form der demokratischen Bestimmung der Vorsitzenden damit zwingend geregelt.
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Dieser Befund ist allerdings erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt. Es gibt gute Gründe, die Einführung einer Urwahl der Parteivorsitzenden durch eine Partei durch eine verfassungskonforme Interpretation des Parteiengesetzes für möglich zu erachten.
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Ob sich im Streitfall Gerichte dieser verfassungskonformen Aufweichung des Parteitagsvorbehaltes anschließen oder nicht, ist nicht prognostizierbar.
Angesichts dieser Ungewissheit ist es für eine Partei nicht ratsam, diesen riskanten Weg zur Besetzung der Vorsitzendenpositionen einzuschlagen.
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Für die Materien, die das Gesetz dem Parteitag zuweist, soll der Mitgliederentscheid nur empfehlenden Charakter haben. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Mitgliederentscheide nach § 8 (und in der Folge auch die dazu ergangene Ordnung über die Mitgliederentscheide) auch Wahlen, hier zum Parteivorstand, erfassen.
Das Gesamtbild der Satzungsregelungen über den Mitgliederentscheid zwingt dazu, diese Frage negativ zu beantworten.
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Dieser Befund wird eindeutig, wenn man die in § 8 Abs. 6 Satz 1 Bundessatzung in Bezug genommene »Ordnung über Mitgliederentscheide« heranzieht. Diese Ordnung macht an zahlreichen Stellen deutlich, dass sie sich auf Sach-Entscheidungen bezieht und nicht auf Wahlen gemünzt ist.
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Das bestehende Regelwerk der Partei enthält keine Regelung über die Bestimmung der Parteivorsitzenden durch Urwahl der Mitglieder. Einer solchen bedarf es aber, und zwar auch, wenn die Wahl »nur konsultativen Charakter« haben soll.
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Die Durchführung einer offiziell von der Partei organisierten »Wahl« der Parteivorsitzenden hat auch bei proklamierter rechtlicher Unverbindlichkeit eine erhebliche tatsächliche politische Bindungswirkung. Das leugnen zu wollen durch den Verweis auf die rechtliche Unverbindlichkeit wäre törichte Naivität oder bewusstes Dummstellen. Am Votum für bestimmte Personen, das in der organisierten »Wahl« abgegeben wird, kommt der nachfolgend mit der rechtsverbindlichen Wahl befasste Parteitag kaum vorbei. Eine realistische Einschätzung zeigt: Wenn das Volk, also der Souverän spricht, spricht er verbindlich.
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Es ist gegenwärtig nicht möglich, eine Urwahl der Parteivorsitzenden durch alle Mitglieder durchführen zu lassen, und zwar auch nicht in der Form einer nur konsultativen Aktivierung der Mitglieder. Dies scheitert am Fehlen einer satzungsrechtlichen Grundlage im Regelwerk der Partei. Eine so wesentliche und auch praktisch wirksame Form der innerparteilichen Willensbildung darf nicht wildwüchsig ergriffen werden, sie bedarf der rechtlichen Strukturierung, um Manipulationen im Vorhinein abzuwehren und um Streitigkeiten zu vermeiden. Personalentscheidungen werfen eine ganze Reihe von delikaten Regelungsfragen auf, die beantwortet werden müssen (siehe oben II. 3. b). Ohne eine einschlägige Satzung bestehen erhebliche Regelungsdefizite.
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Das Vorgehen über einen Mitgliederentscheid kommt für eine Befragung der Mitglieder über die personelle Besetzung bei den Vorsitzendenpositionen nicht in Betracht. Das Instrument des Mitgliederentscheides ist allein auf Sachentscheidungen bezogen, nicht auf die Wahl von Personen. Vorliegende Anträge auf Mitgliederentscheid über die Personen der Parteivorsitzenden sind als unzulässig zurückzuweisen, ... ohne satzungsrechtliche Grundlage verstößt die Durchführung eines Mitgliederentscheids über Personalfragen gegen die Satzung und auch gegen das Parteiengesetz.
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