»Meine Palette ist meine Musik«
In Jena zeigt die Ausstellung »Von Renoir bis Picasso« Künstler der École de Paris
Schon der erste Blick in die Ausstellung verrät, was im Mittelpunkt steht: die Farbe. Man steht da, eingehüllt in den satten Brombeerton der Wände, und staunt, wie dieser Ton die Bilder zum Leuchten bringt. Auf einem Stillleben glänzen zwei tote Fische, als würden sie gerade durch einen Bach schwimmen, ihre gelblich-grüne Kohlbeilage strahlt satt in den Raum. Natürlich ist es vor allem das Talent von Pierre Auguste Renoir, das diese Ölmalerei lebendig macht. Doch das Farbkonzept der Räume, die ihre Bilder mal blau, mal rosa, mal rot umgarnen, betont, worum es den Künstlern der »École de Paris« ging, die in der Ausstellung versammelt sind: um gewagte Komposition, spielerische Kontraste, vibrierende Flächen.
Es sind Leihgaben aus dem Petit Palais in Genf, die nun im Stadtmuseum Jena unter dem Titel »Von Renoir bis Picasso« gezeigt werden. Ein Glücksfall, denn das Genfer Museum ist seit dem Tod des Sammlungsgründers Oscar Ghez 1998 nicht mehr zugänglich, die Werke der bedeutenden europäischen Kunstsammlung erblicken nur noch im Rahmen von internationalen Ausstellungen das Licht der Öffentlichkeit. Eric Stephan, Leiter der Kunstsammlung Jena, traf mit dem Erben von Ghez schon vor Jahren die Abmachung, Teile der Sammlung in Jena zu zeigen. 2008 beschäftigte sich die Ausstellung »Von Manet bis Renoir« vorwiegend mit der Entstehung des Impressionismus. Jetzt geht es in »Von Renoir bis Picasso. Künstler der École de Paris« um die Vielfalt der Stile, die in Paris vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert florierten.
Im Viertel Montmartre, damals ein Vorort der Stadt, lebten zwischen 1860 und 1910 über 500 Künstler - weil die Mieten und der Wein dort günstig waren. »La Butte Montmartre« - der Hügel Montmartre - lautet dementsprechend auch der Titel eines der sieben Ausstellungskapitel, welche die Werke mal nach stilistischen, mal nach motivischen Gesichtspunkten ordnen. Auf einem Ölbild von Alphonse Quizet ist das dörfliche Flair des Bezirks festgehalten: Eine Windmühle reckt sich über die Stadt, die Parzellen rund um den hölzernen Bau erinnern an Schrebergärten - eine Künstlerhochburg stellt man sich anders vor.
Hier traten zunehmend die einfachen Menschen und deren Tätigkeiten als Bildmotive in den Vordergrund. In den Ausstellungsräumen erblickt man - neben dem ausgelassenen Nachtleben - Straßenszenen und Krämerläden. Eine »Junge Blumenverkäuferin« von Jules Adler schaut dem Betrachter versonnen entgegen, während das Licht ihre Haare und Bluse in impressionistischer Manier weichzeichnet.
Auf einer Radierung von Joaquin Sunyer schleppt sich eine gebeugte Wäscherin mit ihrem Bündel durch die Straßen. Zwar behält die Schau mit Kapitelüberschriften wie »Die Impressionisten«, »Les Fauves, die Wilden«, »Die Kubisten« die kunsthistorische Trennung bei, doch deutlich wird die gegenseitige Befruchtung der malerischen Ausdrucksweisen. Immerhin lebten in Montmartre Künstler aus aller Welt in unmittelbarer Nähe; in Cafés und Kabaretts fand reger Austausch statt.
In Jena zeigt sich schon an den zahlreichen Werken von Théophile-Alexandre Steinlen die Freude am Experiment. Bekannt ist der gebürtige Schweizer für seine Jugendstil-Plakate für das Kabarett »Le Chat Noir«. Hier jedoch kann man einen »Zimmermann oberhalb des Hafens« bewundern, der fast fotografisch in schwarz-weißen Ölfarben gemalt ist und den Sozialistischen Realismus vorwegzunehmen scheint. Auf dem erdfarbenen Bild daneben kämpft eine Frau gegen den Wind, der ihr unter den Mantel fährt. Ihr rotes Halstuch ist der einzige Farbtupfer. Schräg gegenüber kommt die illustrative Zeichnung eines Kindergartens lockerleicht daher. Auf einen einzigen Stil lässt sich Steinlen gewiss nicht festnageln. Für ihn gilt, wie auch für viele seiner Künstlernachbarn, was der Fauvist Charles Camoin in Worte fasste: »Meine Palette ist meine Musik; aber ich habe keine Technik, sondern Empfindungen.«
Auch wenn der Name anderes vermuten lässt, ist die »École de Paris« keine Schule und zeichnet sich durch kein Programm aus. Gemeint ist vielmehr die gesamte Pariser Kunstszene Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Fast 100 Gemälde und Zeichnungen dieser Zeit verteilen sich in Jena über zwei Etagen. Viele der 40 Künstler sind eher unbekannt oder in Vergessenheit geraten.
Der Pole Moïse Kisling etwa war im Paris der 20er Jahre an fast allen wichtigen Ausstellungen beteiligt, ist heute in Deutschland jedoch wenig bekannt. Wenn man vor dem Aktbild steht, das beinahe die ganze Wand ausfüllt, fragt man sich unwillkürlich nach dem Grund. Die Revuetänzerin Arletty rekelt sich dort mit so verführerisch weicher Haut, dass man sie am liebsten berühren würde. Ein Bild, das leuchtet - und viele Besucher auf die aufgestellten Sitze zieht. Aber auch von Künstlerinnen wie Nathalie Kraemer oder Maria Blanchard weiß man wenig.
Dass man deren Werke kennenlernen kann, ist dem Grundsatz des Sammlers Ghez zu verdanken. Er scheute sich nicht, das zu kaufen, was das breite Publikum ablehnte, oder in Malerinnen zu investieren, die von der Kunstgeschichte ignoriert wurden. Große Namen hielt er für überteuert.
Darum ist es fast ein bisschen schade, dass die Ausstellung nicht auf bekannteste Vertreter der Pariser Schule verzichtet. Von Publikumsmagneten wie Renoir, Picasso, Picabia und Chagall sind einige Werke zu sehen - sonst hätte man kaum auf den Titel mit den wirksamen Namen zurückgreifen können. Gebraucht hätte man sie nicht, denn die Künstler der »zweiten Reihe« haben selbst genug zu bieten.
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