Spitzel, Spione, Folterknechte

Arkadij Maslow führt in die Atmosphäre der Jahre 1931 bis 1935

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 4 Min.

Lesen - Luft holen - Durchatmen! Ein solch zupackendes Leseerlebnis hat man selten und hier gleich noch einmal durch Berit Balzers Nachwort, das weit mehr als das ist und genau über Zeit, Hintergründe und den Autor informiert. Auch der Roman selbst ist mehr und alles andere als ein reißerischer Spionageroman der dreißiger Jahre in Berlin. Er ist das Dokument einer Zeit, in der alles aus den Fugen gerät, ein Augenzeugenbericht voller naturalistischer Schilderungen, vor allem der vergifteten sozialen Großstadtatmosphäre. Er ist eine Art »Schlüsselroman«, auch wenn Arkadij Maslow selbst diesen Begriff dafür abgelehnt haben soll. Dabei sind ihm einige Szenen und Personen kolportageartig geraten, etwa Hitlers Tränen beim Hören der Parsifal-Platten oder die »fabelhaften« Abende der Nazi-Gesellschaft samt der »Gletscherspalte« (Leni Riefenstahl) bei Anita von Losch. Und doch: Viel spannender sind die Zeitanalysen, oft lange Suaden, die Maslow einflicht.

Kolportage hin und her, für eine Weile treten beim Lesen alle historischen Darstellungen in unserem Kopf - von Kershaw bis Knopp - in den Hintergrund, und wir tauchen unmittelbar ein in die Atmosphäre der Jahre 1931 bis 1935. Was sollte ein Roman eigentlich anderes leisten?

»Dieser Roman behandelt die Verschwörung von Schleicher und Hammerstein unter dem Titel ›Die Tochter des Generals‹«. So schrieb Ruth Fischer, die einstige Lebensgefährtin von Arkadij Maslow, 1960 an Franz Jung. Sie betonte im Brief Brechts positives Votum und hoffte auf eine Veröffentlichung, die bis 2011 nicht gelang. Ruth Fischer ist die Rettung des einzigen erhaltenen Manuskripts (heute in Harvard) zu verdanken, Berit Balzer die Veröffentlichung nun endlich. Die halbherzige, nie wirklich konsequent betriebene »Verschwörung« der alten Wehrmachtsgeneräle gegen den verachteten »böhmakischen Unteroffizier« Hitler ist nur der Hintergrund der eigentlichen Romanhandlung. Die verstrickt zwei Frauen in eine sensationelle Spionageaffäre. Protagonistinnen des Romans sind die beiden Generalstöchter Marieluise und Marianne von Bimmelburg. General von Bimmelburg wiederum ist im Buch Alter Ego des Kurt von Hammer-stein-Equord. Schon der Name weist auf die bitter-ironische Komponente des Buches.

Zum Verständnis sei gesagt, dass der Autor in seinem Roman »Schlüsselfiguren« und verschlüsselte Figuren«, historische und parodierte Gestalten auftreten lässt. So sind Hindenburg, Schleicher, Göring, Goebbels, Röhm, Strasser usw., aber auch der »Inquisitor« Vogt, Untersuchungsrichter beim Reichstagsbrandprozess und Vorsitzender des Volksgerichtshofs, namentlich genannte Gestalten (und Schleicher wird im Roman samt seiner Frau von SS-Schergen, wie wirklich geschehen, nach dem sogenannten »Röhmputsch« kaltblütig ermordet). Die Namen von Marieluise von Bimmelburg und der mit ihr zusammen hingerichteten Anita von Losch dagegen sind Pseudogramme »erfundener« Personen, die authentische Frauen, nämlich Benita von Falkenhayn und Renate von Natzmer, repräsentieren. Diese beiden wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1935 verhaftet und nach einem Hochverratsprozess sofort in Plötzensee mit dem Handbeil hingerichtet. Es ist eine grausige Szene, mit der der Roman endet. »Die Realität übertraf die Fiktion.«

Wie aber kommt es dazu, dass die brave, bildungsbeflissene Generalstochter in eine Spionageaffäre gerät? Eigentlich durch eine gewisse Naivität, mit der sie ihrer lebenslustigen Schwester Marianne kaum nachsteht, und vor allem, weil zu dieser Zeit jeder anständige Mensch sehr leicht in die Hände der Spitzel, Spione und Folterknechte geraten konnte, von denen es auch im Roman nur so wimmelt. Es ist das Jahr 1931. Bimmelburg schmiedet mit Schleicher seinen »Plan«, und Marieluise setzt sich in der Uni in den Vorlesesaal der Juristen. Dort lernt sie den ehemaligen kommunistischen Abgeordneten Gerhard Alkan und durch ihn die Liebe und kommunistische Ideen kennen und verinnerlichen. Die väterlichen Pläne geraten durch einen kleinen Diebstahl der Generalstochter und über Mittelmänner nach Moskau.

Gerhard Alkan ist übrigens auch so eine parodistisch überzeichnete »Kolportage«-Figur, vielleicht weil sich in ihm ein Teil des selbstironischen Autors findet. Maslow schrieb das Buch im Pariser Exil. Alkan landet in Dachau, und nicht unschuldig daran sind die verängstigten Schwestern Marieluise und Marianne. Um nun aber die Sache wieder gut zu machen, schlagen sie sich beide auf die Seite der Nazis, wo sie konspirativ arbeiten wollen. Weit gefehlt! In feiner Abendgesellschaft gerät Marieluise zusammen mit der Gastgeberin Anita von Losch in die Fänge eines polnischen Doppelspions.

Es muss noch erwähnt werden, dass in diesem Kaleidoskop der Verbrechen und Eitelkeiten neben Berlin auch Moskau mit dem berüchtigten Hotel Lux und Paris mit seiner zerstrittenen Emigrantenszene mit rotieren. Was ist, so fragt man schließlich, in diesem Tohuwabohu eigentlich Roman, was historische Wahrheit und was Hellsicht? Unaufgeklärt bis heute, fügt sich wie ein schlechter Romanschluss Arkadij Maslows eigener mysteriöser Tod im mexikanischen Exil 1937 hinzu.

Arkadij Maslow: Die Tochter des Generals. Roman. Hg. v. Berit Balzer. be.bra Verlag. 432 S., geb., 24,95 €.

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