Kein Entrinnen
David Wnendts Kinodebüt »Kriegerin« erzählt die Geschichte der Rechtsradikalen Marisa
Kaum vorstellbar, dass die Nazi-Clique, die wir in David Wnendts Spielfilm »Kriegerin« kennenlernen, zum Zeitpunkt der Handlung in einer Partei oder Kameradschaft organisiert ist. Diesen Leuten geht es ums Saufen und ums Prügeln, um Parolen und um Provokation. Auch ist wohl keiner der Ausländerhasser - bislang - in den »nationalsozialistischen Untergrund« abgetaucht, um gezielt zu morden. Mit dem Video-Handy im Anschlag gehen sie in der Regionalbahn oder am Badestrand auf Menschen los, die ihnen nicht passen. In der Figur des Sandro (kahlgeschoren und schwer tätowiert: Gerdy Zint) tritt allerdings einer in Erscheinung, dem das nicht reicht. Wenn er mit äußerster Entschlossenheit »den Worten Taten folgen« lassen will, ist damit offenbar weit Ärgeres gemeint als der Faustkampf.
Die Bluttat erfordert ein Werkzeug. Sandro erhält es von einem älteren Herren mit Brille (Hayman Maria Buttinger), der weder ins Erscheinungsbild der Gruppe passt noch in die nicht näher benannte ostdeutsche Provinz, in der die Handlung spielt (ein Autokennzeichen verrät den Landkreis Bitterfeld als Handlungsort). Dieser Mann spricht mit österreichischem Dialekt. Er zeigt den Jugendlichen - zum Saufgelage - antisemitische Propagandavideos aus den 30er Jahren. Später leitet er eine »Wehrsportübung« in der Einöde. Dramaturgisch scheinbar nicht von großer Bedeutung, verkörpert dieser schmierige Typ die Schleuse der brutal Desorientierten in organisierte rechtsradikale Strukturen. Es ist ganz und gar keine Nebensache, dass Sandro ausgerechnet ihm jene alte Pistole abkauft, die schließlich zum Mordwerkzeug wird - wenn auch ganz anders als geplant.
Regisseur David Wnendt (34) hat für seinen Debütfilm in rechtsradikalen Kreisen recherchiert, was der Inszenierung einige Wirklichkeitsnähe verleiht. Sein Hauptaugenmerk richtete er - lange bevor eine Beate Zschäpe ins öffentliche Bewusstsein trat - auf die Frauen. Über sie wollte der Absolvent der Filmhochschule Babelsberg möglichst viel erfahren - nicht, um ihre Rolle in der Szene zu analysieren oder sonst wie erklärend, anklagend, kritisch auf sie zu zeigen, sondern um eine konkrete Geschichte erzählen zu können. Es ist die fiktive Geschichte der sehr realen Marisa geworden, jener »Kriegerin«, die dem Film, ab morgen im Kino, den Titel gab.
Wie sich die Schauspielerin Alina Levshin dem Skinhead-Mädchen Marisa anverwandelt, schon das macht »Kriegerin« sehenswert. Das Gesicht unter der »Renee«-Frisur (das Haupthaar stoppelkurz, lange Fransen an Schläfen und im Nacken) erzählt mehr als manche der recht eng am Klischee haftenden Drehbuch-Ideen.
Ins Gehirn brennt sich vor allem die Schlüsselsequenz, in der die Kamera Marisas Profil beim Lenken ihres alten Golfs einfängt. Auf einer öden Landstraße verfolgt sie zwei Jungs aus dem örtlichen Asylbewerberheim, die nach einem Angriff durch Marisas Clique den Außenspiegel ihres Autos abgetreten haben und jetzt auf dem Mofa fliehen. Geraden Blickes, mit leicht zusammengekniffenen Lippen rast Marisa ihnen wortlos nach. Der Motor brummt untertourig, aus dem Radio grölt eine Oi-Band »Holocaust Reloaded«. Der entschlossene Ausdruck ihrer Augen und ein leichtes Spiel der Gesichtsmuskeln genügen Alina Levshin, um dieser Szene eine ungeheure Intensität zu verleihen. Sie gipfelt in einem sekundenkurzen Ausschlag der Hände, die das Lenkrad führen. Man weiß: Sie hat ihre Opfer erwischt.
Dieser Blick, als sie einen tiefen Zug aus der Zigarette nimmt, wie soll man ihn beschreiben? Hart? Hasserfüllt? Herzlos? Es ist ein »kriegerischer« Blick; kein Wort trifft es besser. Marisa ist dabei, wenn die Jungs auf Prügeltour gehen. Sie steht ihnen beim Zuschlagen und -treten in nichts nach. Auf ihrem T-Shirt steht »Nazibraut«, auf ihr Brustbein ist ein Hakenkreuz tätowiert, das sie nur dann mit einem weißen Pflaster überklebt, wenn sie an der Kasse einer kleinen Kaufhalle arbeitet. Die Chefin ist ihre Mutter, eine verhärmte Frau, die ihre Tochter wenig schätzt und ihren Vater hasst. Marisa hingegen fühlt sich zu ihrem sterbenden Großvater hingezogen. Einzig und allein, wenn sie den Alten im Krankenhaus besucht, werden ihre Züge weich und empfindsam.
Freilich, es war dieser Opa, der Marisa einst einen sandbefüllten Rucksack über den Ostseestrand buckeln ließ und ihr, als sie diese Prüfung bestanden hatte, den Titel »Kriegerin« verlieh. Er war es auch, der ihr beibrachte, nicht zu glauben, was sie in der Schule über die Zeit von 1933 bis 1945 lernt.
Kurz bevor der Großvater stirbt, begegnet Marisa einem der Jungen wieder, die sie mit ihrem Auto in den Straßengraben gestoßen hatte: Rasul. Der Tod und das Gewissen verwickeln sie nach und nach in das gefährlichste Abenteuer: den Ausstieg aus der Szene. Sie bahnt sich diesen Weg mit der Baseballkeule, die sie wieder und wieder auf den Körper ihres »Freundes« Sandro niederwuchtet. Fliehend zieht sie Svenja mit in ihr Auto, ein 15-jähriges Mädchen (kindlich, dabei nicht unbedarft: Jella Haase), dessen Geschichte sich im Film mit Marisas Geschichte kreuzt: Svenja, der Demütigungen ihres Stiefvaters überdrüssig, sucht bei den Nazis Zuflucht vor ihrem Elternhaus. Sie will rein, Marisa will raus aus der Szene. Die letzte Kameraeinstellung zeigt beide vereint in einem erschütternden Bild, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.
David Wnendts Film, ein beachtliches Debüt, dessen unvorhergesehene Aktualität durch das Auffliegen der Zwickauer Mörderzelle nun für mehr Rampenlicht sorgt als erwartet, beeindruckt vor allem durch die dramaturgische Entwicklung und schauspielerische Leistung der Hauptfigur.
Schon in Alina Levshins ernsthaftem, aber bei aller Intensität unbemühtem Spiel erfüllt sich Wnendts erklärtes Vorhaben, »die Vorstellung von rechter Kameradschaft als Mythos« zu entlarven. Scheller als der Verlauf der Handlung stellen Marisas Augen, in denen sich noch in Sex- und Gewaltszenen tiefe Traurigkeit spiegeln kann, diesen Mythos als Illusion bloß.
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