Der Mann, der das FBI erdachte: eine Katastrophe für andere – eine Katastrophe für sich selbst

»J. Edgar« von Clint Eastwood

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Held dieses Films ist seit Jahrzehnten das personifizierte Feindbild jedes linken und liberalen Denker in den USA und weit darüber hinaus. Der Regisseur dieses Films ist als konservativer Liberaler bekannt, sein Drehbuchautor als aktiver Verfechter eines umfassenden Rechts zur emotionalen und politischen Selbstbestimmung und die schwullesbische Gleichberechtigung. Beide sind Oscar-Preisträger, ebenso wie ihr Produzent und Auftraggeber. Ihr Hauptdarsteller gehört zu den bestbezahlten Stars der Erde, für die er außerdem aktiv in Sachen Aufklärung über die Klimaerwärmung unterwegs ist.

Ihr gemeinsames Werk ist eine denkwürdige Sache, ebenso unerwartet wie faszinierend, ein bisschen betulich, ein bisschen schockierend, voller Verständnis, wo man Verständnis vielleicht am allerwenigsten erwartet hätte. Ein Zusammentreffen der Giganten, dessen Ergebnis ein langer, aber nicht langweiliger Film ist. Die Betrachtung eines Mannes, der vielen als Held galt, bis er posthum auch bei der eigenen Seite in Ungnade fiel, und der vielen bis heute als Verkörperung alles dessen gilt, was faul ist in Amerika. Ein Porträt des Kommunistenfresssers als Mensch.

Clint Eastwood dreht einen Film über J. Edgar Hoover, den Mitbegründer, Chefideologen und langjährigen Direktor des US-amerikanischen Inlandsgeheimdienstes FBI. Dustin Lance Black, Oscar-preisgekrönter Drehbuchautor des (nicht nur) schwulen Politmelodrams »Milk«, schrieb das Buch, Brian Grazer, ebenfalls Oscar-Preisträger (»A Beautiful Mind«), erteilte den Auftrag, Leonardo DiCaprio ist ihr Hoover über fünf Jahrzehnte. Sieht man genauer hin, ist ein Verfechter amerikanischer Selbstverteidigung gegenüber gewaltbereiten Kräften, die die verfassungsgemäßen Institutionen seines Gemeinwesens zu unterminieren suchen, grundsätzlich auf einer Linie mit Eastwoods Filmschaffen, auch wenn Hoover sich seine Feinde suchte, wo die Feinde mutmaßlich gar nicht lauerten. Dustin Lance Black erhielt seinen Preis für ein Drehbuch über einen Politiker, der sich Feinde machte, weil er lebte, was er war. Und Leonardo DiCaprio hat seit Jahren immer just die Projekte ausgewählt, bei denen sein immer noch jungenhaftes Äußeres ihm nicht nur nicht helfen konnte, sondern ihm hinderlich im Weg stehen musste. Weshalb er hier auch meist in einer - ausnahmsweise allerdings wirklich sehr guten - Altersmaske vor der Kamera steht.

Außerdem ist »J. Edgar«, wie der Titel schon sagt, ein Blick auf den privaten Mann hinter dem öffentlichen Desaster. Und dieser Mensch war, glaubt man Black, Eastwood und Grazer, ein gegängeltes Muttersöhnchen mit einer auch vor sich selbst krampfhaft verborgen gehaltenen Lust am eigenen Geschlecht, einer schon pathologischen Angst vor Frauen und einem alles andere verschlingenden mütterlichen Auftrag: der Familienfortüne wieder auf die Beine zu helfen, und das Land von unguten Elementen zu befreien, die seine Grundfesten erschüttern wollten. Ein xenophober, homophober Kommunistenhasser und Rassist, ein (weitgehend) geheilter Stotterer, ohne jeden Skrupel, was das illegale Abhören auch seiner Präsidenten anging, ein Erpresser zu höherem Nutzen (oder was er dafür hielt). Ein früher Verfechter forensischer Technologien, der damit seiner Zeit voraus war, und ein ungebremster Selbstdarsteller. Ein fanatischer Kämpfer für die innere Sicherheit, und sei es um nahezu jeden Preis - auch den der Deportation amerikanischer Staatsbürger ohne jede nachweisbare Straftat. Ein Mann voller Ehrgeiz und Hass, ein pedantischer Ordner und Sortierer, ein Dandy, der sich natürlich nicht so nannte, der Mann, der das FBI erdachte, zu seiner persönlichen Machtbasis ausbaute, mit Ingrimm verteidigte und fast ein halbes Jahrhundert lang führte. Aber auch ein Mann, der von einem Mann geliebt wurde, den er nicht zurücklieben durfte. Glaubte er.

All das macht »J. Edgar« unter Eastwoods ebenso sorgfältiger wie (trotz zahlreicher Rückblenden und Rückblenden in den Rückblenden) straffer Regie zu der ungewöhnlich ausbalancierten Darstellung eines lebenden Paradoxons, eines überlebensgroßen Bürokraten und unerfüllten Menschen, der die Spuren der Indiskretionen Dritter sammelte und sich schon deshalb keinen eigenen Skandal erlauben konnte. Eine Katastrophe für Dritte, eine Katastrophe für sich selbst. Ein früher Vorreiter der Theorie, nach der man eine Gewalttat am besten noch vor ihrem Planungsstadium unterbindet, einer, der Jagd machte auf Ideen, nicht Straftaten, Jahrzehnte vor der die gesetzlich verankerten bürgerlichen Freiheiten aushebelnden Anti-Terror-Gesetzgebung.

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