Blackout bei Wikipedia & Co.

Warnung im Internet vor möglichen Zensurmaßnahmen in den USA

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 3 Min.
In den USA wird heftig über Gesetzesinitiativen gegen Netzpiraterie gestritten. Anhänger des freien Internets sehen darin Zensurmaßnahmen.
Protest auf der englischen Wikipedia-Seite  nd-Screenshot: wikipedia.org
Protest auf der englischen Wikipedia-Seite nd-Screenshot: wikipedia.org

Wer am Mittwoch die englische Ausgabe von Wikipedia aufrufen wollte, hatte keinen Erfolg. Das größte Internetlexikon war nämlich für einen Tag vom Netz gegangen. Auch andere populäre Webseiten wie Boing Boing, Mozilla, Reddit, Twitpic und Wordpress waren für gewisse Zeit nicht zugänglich. Google und Facebook unterstützen das Anliegen.

Wikipedia mit seinen 20 Millionen Einträgen und 100 000 freiwilligen Autoren steht für die Freiheit des Internets. Und genau die sieht Firmengründer Jimmy Wales gefährdet. Die Gesetzesinitiativen SOPA im Repräsentantenhaus und PIPA im Senat gefährdeten das freie und offene Netz und führten die Zensur in den Vereinigten Staaten wieder ein, heißt es in einer Erklärung der Wikimedia Foundation. »Wir bedauern es, den Zugang zu Wikipedia auch nur für eine Sekunde einzuschränken«, sagt Wales. »Aber wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass die Gesetzgebung die Meinungsfreiheit in den Vereinigten Staaten und im Ausland einschränkt.« Sie stelle einen gefährlichen Präzedenzfall dar.

Die geplanten Gesetze richten sich gegen Netzpiraterie, also das illegale Herunterladen urheberrechtlich geschützter Dateien. Demnach könnten Internetseiten gesperrt werden, die den Zugang zu solchen Dateien ermöglichen. US-Unternehmen sollen künftig keine Werbung auf solchen Seiten mehr schalten dürfen.

Die Gesetzgebung ist eine Reaktion auf Beschwerden Hollywoods, von Herstellern von Videospielen und anderen Anbietern urheberrechtlich geschützter Leistungen. »Ausländer stehlen, was Amerikaner hart erarbeitet haben«, sagt Michael O'Leary von der Motion Picture Association, einer Interessenvertretung der Unterhaltungsindustrie. Die US-Wirtschaft verliere durch die Netzpiraterie jährlich Milliarden Dollar.

Das Weiße Haus hat sich indes gegen die Gesetzesinitiative gestellt. »Ausländische Netzpiraterie ist ein ernstes Problem, auf das es eine ernste gesetzliche Antwort braucht«, heißt es in einer Erklärung der wichtigsten Internet-Berater von Präsident Barack Obama. »Wir werden aber keine Gesetzgebung unterstützen, welche die Meinungsfreiheit einschränkt, die Internetsicherheit verringert und das dynamische und innovative globale Netz bremst.« Die Erklärung wurde unterschrieben von Obamas Technologieberater Aneesh Chopra, von Victoria Espinel, der Verantwortlichen für das Thema geistiges Eigentum, und von Internetsicherheitsberater Howard Schmidt.

Die republikanische Mehrheit im US-Repräsentantenhaus bemüht sich um einen Kompromiss. »Ich bin bereit, mit meinen Kollegen im Kongress an einem überparteilichen Gesetz zu arbeiten, das sowohl die Meinungsfreiheit als auch Amerikas geistiges Eigentum schützt«, sagte Lamar Smith, Chef des Justizausschusses im Repräsentantenhaus.

Die nächste Gelegenheit zu einem Kompromiss bietet sich vor dem 24. Januar. Dann wird der Senat mit seiner demokratischen Mehrheit über das weitere Vorgehen entscheiden. Laut Medienberichten wird darüber diskutiert, Links zu Piratenseiten zu unterbinden, statt gleich den Zugang zu diesen Seiten ganz zu blockieren. Die Aktion von Wikipedia & Co. erhöht nun den Druck.


SOPA und PIPA

Die Gesetzesinitiativen SOPA (Stop Online Piracy Act) und PIPA (Protect IP Act) richten sich sehr allgemein gegen »Diebstahl von US-Eigentum«. Das können Kopien von Musik, Filmen, Büchern oder Software sein - aber auch kreative Bearbeitungen des geschützten Materials. Bei Urheberrechtsverletzungen sollen Internet-Provider den Zugang zu ausländischen Webseiten sperren. Das Gesetz ermächtigt die Justiz auch dazu, gegen Web-Anbieter vorzugehen, die es ermöglichen, solche Sperren zu umgehen. Suchmaschinen sollen Links zu inkriminierten Webseiten im Ausland innerhalb von fünf Tagen nach einer Anordnung des Staatsanwalts aus ihrer Datenbank zu entfernen. dpa/nd

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