Machtteilung oder Bürgerkrieg
Historiker George Jabbour: Syriens Schicksal entscheidet sich in Homs und in New York
Wenn Anfang Februar bis zu 2000 Delegierte der Baath-Partei in Damaskus zu ihrem Kongress zusammenkommen, werde sich zeigen, ob sich »die Linie der Vernunft« durchsetzt. Das sagte der syrische Historiker George Jabbour am Mittwoch im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Jabbour hofft, es möge Präsident Bashar al-Assad gelingen, die Parteitagsdelegierten davon zu überzeugen, dass es zum Vorteil Syriens und seiner Bevölkerung wäre, wenn die Partei ihre Macht demokratisch mit anderen Kräften teilt. Es gebe viele reformorientierte Kräfte in der Partei, doch viele unterstützten auch »enthusiastisch eine Sicherheitslösung«.
Während des Gesprächs in Jabbours Wohnung sorgt die abendliche Stromabschaltung für plötzliche Dunkelheit. Weil das Wohnhaus keinen eigenen Generator hat, werden batteriegetriebene Lampen chinesischer Produktion eingeschaltet. Frau Jabbour stellt Kerzen auf den Tisch, um das grelle Neonlicht etwas zu dämpfen. Ständig klingelt das Telefon, Journalisten verschiedener Sender wollen Jabbours Meinung zu den jüngsten Entscheidungen der Arabischen Liga hören. Der frühere Präsidentenberater und Vorsitzende der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen ist ein gefragter Gesprächspartner. Mit seiner sachlichen Analyse und seinen Geschichtskenntnissen versteht er es, die komplizierte Situation seiner Heimat auf den Punkt zu bringen.
Als »Sicherheitslösung« wird das repressive, militärische Vorgehen staatlicher Sicherheitskräfte gegen Regierungsgegner verstanden, was alle Gruppen der Opposition von Anfang an vehement kritisiert hatten. Das harte Vorgehen schränkte den politischen Spielraum ein, dafür erhielten zweifelhafte Gruppen Zulauf, die zu den Waffen griffen. Nach neun Monaten ist die politische Opposition nahezu verstummt, bewaffnete Gruppen und eine aus der Türkei operierende »Freie Syrische Armee« zwingen die syrische Armee in einen Bürgerkrieg, am deutlichsten wird das in den Städten Homs und Idlib, wo täglich viele Menschen Opfer der Gewalt werden.
Homs habe sich zum Zentrum der Kämpfe entwickelt, weil aus Libanon Nachschub an Waffen und Kämpfern komme, sagt Jabbour. Die Stadt sei Heimat einer großen alevitischen Gemeinde und der Atassi-Familie, die heute führend in der Opposition sei. Die Atassis besitzen seit Generationen große Ländereien in und um Homs. Aus der Familie sind bedeutende Politiker und Kleriker hervorgegangen, sie stellte drei syrische Präsidenten. Noureddin al-Atassi, 1966 bis 1970 Präsident, wurde wegen ideologischer Differenzen mit Hafez al-Assad verhaftet und starb kurz nach der Entlassung aus dem Gefängnis 1992. Viele machen »das System Assad« für seinen Tod verantwortlich.
Die Lage sei weniger klar als zu Beginn der Unruhen, stellt George Jabbour nüchtern fest. Syriens Schicksal werde sich wohl in Homs und in New York entscheiden. Im UN-Sicherheitsrat in New York wolle Moskau Washington überzeugen, die bewaffneten Kräfte und die syrische Regierung an einen Tisch zu bringen. Doch Washington behaupte, es habe keinen Einfluss auf die Kämpfer. Wegen der Präsidentschaftswahlen in den USA und Frankreich, fürchtet Jabbour, werde es keine Fortschritte geben, die Unsicherheit werde wohl das ganze Jahr anhalten.
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