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Alle Zweifel beseitigt?
Das Urteil zu Videoüberwachung aus Sicht eines Datenschützers / Christoph Schnabel, Referent beim Hamburgischen Datenschutzbeauftragten, über Polizeikameras im öffentlichen Raum
nd: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Kameraüberwachung an »Brennpunkten der Kriminalität« am Mittwoch für rechtmäßig erklärt. Hat Sie das Urteil überzeugt?
Ch. Schnabel: Wir bewerten dies nicht, sondern richten uns danach. Es ging ja insbesondere um die Frage, ob die Länder die Videoüberwachung zur Strafverfolgungsvorsorge selbst regeln dürfen. Hier hat das Gericht rechtliche Klarheit hergestellt: Da der Bund keine entsprechenden Gesetze erlassen hat, dürfen sie selbst tätig werden.
In Hamburg und in vielen anderen Bundesländern, die ähnliche Polizeigesetze haben, bleibt also alles, wie es ist.
Ja. Die Polizei dürfte die Reeperbahn in gewissem Umfang mit Kameras überwachen. Sie verzichtet darauf aber schon seit letztem Jahr, denn die Anwohnerin hatte mit ihrer Klage beim Oberverwaltungsgericht Hamburg bereits erreicht, dass Privatwohnungen und Hauseingänge von den Kameras nicht erfasst werden dürfen. Die Polizei musste deshalb so viel schwärzen, dass sich die Maßnahme erst recht nicht mehr lohnte. Aufwand und Kosten sind ja immens: Polizeibeamte überwachen die Videobilder sieben Tage die Woche, 24 Stunden lang.
Hatten die Kameras den behaupteten Abschreckungseffekt? Das müsste ja nun bemerkbar sein.
Ob Kameras helfen, Straftaten zu verhindern, ist ungewiss. In einigen Bereichen können sie sinnvoll sein, zum Beispiel im ÖPNV. Taten im Affekt wie Schlägereien verhindern sie aber wohl nicht. In Hamburg konnte in den beobachteten Gebieten bei Gewaltdelikten sogar eine Steigerung beobachtet werden. Ortsgebundene Straftaten wie Drogenhandel weichen einfach auf unbeobachtete Gegenden aus. Und präventiv eingreifen könnte die Polizei ohnehin meist nicht, weil das Personal fehlt. Ein Effekt besteht für die Aufklärung, die bei aufgezeichneten Straftaten natürlich leichter ist. Ob das den Aufwand rechtfertigt, ist eine politische Frage.
Die Klägerin sagt Nein und will deshalb, dass die Überwachungskameras ganz verschwinden.
Man muss im Einzelfall prüfen, ob eine Kamera überhaupt weiterhilft und ob derselbe Zweck nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden könnte. Immerhin überwacht der Staat damit anlasslos jeden, der daran vorbeigeht. Wir vermissen hier zuweilen die Sorgfalt bei der Entscheidung. Das ist auch Folge einer unpräzisen Gesetzesnorm.
Nämlich?
Laut Gesetz darf die Polizei öffentlich zugängliche Orte überwachen, wenn dort Straftaten begangen wurden und auch in Zukunft mit Straftaten zu rechnen ist. Das trifft im Grunde auf die gesamte Innenstadt zu, was eine flächendeckende Überwachung wäre. Die Gerichte haben diesen Passus nicht beanstandet. Hier wäre eine Klärung durch den Gesetzgeber wünschenswert, die Schwere und Häufigkeit der Straftaten definiert.
Das letzte Wort könnte mal wieder das Bundesverfassungsgericht haben. Wie groß schätzen Sie die Chancen der Klägerin?
Das ist nicht vorhersehbar. Aber das Bundesverfassungsgericht ist sicher der richtige Ort für diese Frage. Es hat sich in der Vergangenheit sehr streng gezeigt, was die Anforderungen an die Bestimmtheit von derartigen Gesetzesnormen angeht.
Fragen: Ines Wallrodt
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