Ein Fall für den Verfassungsschutz?
Die Beobachtung der Linkspartei ist bisher nicht plausibel begründet worden
Man muss Leute wie Alexander Dobrindt nicht so furchtbar ernst nehmen: Als CSU-Generalsekretär ist man für die große Pauke zuständig. Krach schlagen um der Geräusche wegen. Während alle Welt die Legitimität der Überwachung von LINKE-Politikern diskutiert und mindestens die Verhältnismäßigkeit in Frage gestellt wird, fordert Dobrindt: »Die Beobachtung der Linkspartei gehört intensiviert statt reduziert.« Denn: »Die Doktrin der LINKEN bleibt pro-kommunistisch und verfassungsfeindlich, auch wenn sie in einem Parlament verkündet wird.« Worin die Doktrin besteht, wer sie vertritt, welche Rolle sie in der LINKEN spielt und so weiter - all das muss Dobrindt nicht erklären, denn er bewegt sich auf dem Feld der parteipolitischen Polemik, nicht auf dem der verfassungspolitischen und juristischen Auslegung.
Drei »gute Gründe«
Da verlangt man vom Bundesinnenminister schon mehr, doch auch Hans-Peter Friedrich liefert nicht. Dobrindts Parteikollege hat zwar »drei gute Gründe« genannt, »die Entwicklung innerhalb der Partei zu beobachten«. Doch auch diese sind bloß wacklige Hilfskonstruktionen: Teile der LINKEN würden ausländische Terrororganisationen unterstützen, Straftaten bei Demonstrationen rechtfertigen oder seien in Gruppen organisiert, die eine kommunistische Ordnung anstrebten. An anderer Stelle hat Friedrich gesagt, die Überwachung sei in Ordnung, da die Programmatik der LINKEN »darauf gerichtet ist, einen marxistischen Staat zu errichten«, dass sich Mitglieder der Partei »nicht distanzieren vom Unrechtsstaat der DDR« oder dem System in Kuba. Und: Es gebe Gruppen in der LINKEN, »die ganz klar erklären, was sie von dieser parlamentarischen Demokratie halten, nämlich nichts, dass sie den Kampf außerhalb dieser Parlamente auf den Straßen führen wollen«.
Aber rechtfertigte selbst das eine Beobachtung der LINKEN? Juristisch sind nicht die Vorurteile von Unionspolitikern maßgeblich, sondern Gesetze und Urteile. Eines spielt dabei in der Debatte um den Verfassungsschutz und die LINKE eine herausgehobene Rolle: Immer wieder wird auf den Spruch der obersten Verwaltungsrichter im Fall Bodo Ramelow hingewiesen, er dient nicht nur dem Innenminister und dem Chef des Inlandsnachrichtendienstes als Stütze. Bei der Frage, ob denn nun tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der LINKEN vorliegen, waren die Leipziger Richter »an die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts gebunden«, haben sich also darüber gar nicht groß eigene Gedanken gemacht. Ihre Münsteraner Kollegen hatten geurteilt, es deute »bei vernünftiger Betrachtung die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte darauf hin, dass die Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE Bestrebungen verfolgten und weiterhin verfolgen, die darauf gerichtet sind, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie das Recht des Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner und gleicher Wahl zu wählen, zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen«.
Das sind freilich schon ganz andere Punkte als zum Beispiel die immer wieder angeführten, LINKE-Abgeordnete würden sich nicht ausreichend vom syrischen Potentaten Assad distanzieren oder nicht in die vorherrschende DDR-Verurteilung einstimmen. Es geht auch nicht, worauf nun in vielen solidarischen Kommentaren abgestellt wird, um die Kapitalismuskritik der LINKEN. Jakob Augstein meint, das Grundgesetz sei links. Das ist ein interessanter verfassungspolitischer Hinweis und wer die LINKE auch sonst aufmerksam verfolgt, erinnert sich an Konferenzen zur sozialen Dimension des Grundgesetzes und der Möglichkeit, auf dessen Boden tiefgreifende Veränderungen durchzusetzen – ja selbst einen demokratischen Sozialismus. „Artikel 14, Eigentum verpflichtet, oder Artikel 15, Produktionsmittel können vergesellschaftet werden – wer das zur Richtschnur seines politischen Handelns machen wollte, wäre in Deutschland ein Revolutionär“, schreibt der Freitag-Verleger. „Und damit ein Fall für die Bespitzelung durch den Verfassungsschutz.“ Hier müsste man gewissermaßen zwischen Grund und Ordnung unterscheiden: So nötig man es erachten mag, die politischen Zielhorizonte, die in die Verfassung eingelassen sind, neu zu diskutieren, so wenig liegt hier das juristische Problem mit den Sicherheitsbehörden bei der Überwachung der LINKEN. Denn diese sehen sich nicht in erster Linie als Schützer einer Wirtschaftsweise legitimiert, sondern als Hüter der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung«.
Freiheit und Gleichheit
Vom Verfassungsschutz bearbeitet werden können nämlich nur »solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der« im entsprechenden Gesetz sieben aufgelisteten »Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen«. Dazu zählen das Recht des Volkes auf freie Wahlen, die Bildung einer Opposition, Unabhängigkeit der Gerichte, Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft sowie »die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte«. Bundesinnenminister Friedrich hat im Bundestag vor ein paar Tagen erklärt, es gehe Teilen der LINKEN »um die Errichtung der Diktatur des Proletariats marxistisch-leninistischer Prägung und um die Errichtung eines kommunistischen Systems« - den Beleg blieb er schuldig. Wer im Verfassungsschutzbericht nachliest, findet dort zwar Zitate, die das aber ebenso wenig tun. Und inwiefern »eine sinngleiche Anlehnung« an das Kommunistische Manifest im LINKEN-Programm ein Problem sein sollte, bleibt auch offen: »Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird.«
Grundrechtsverstöße
Was jene, die ihre Macht per Verfassungsschutz vor der LINKEN schützen lassen, von der Ordnung halten, die sie als freiheitliche und demokratische betrachten, lässt sich jeden Tag beobachten. Grundrechte? Wie passen verbreitete Armut und der Schutz der Menschenwürde zusammen? Wie soll »die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit« möglich sein, wo sie an die Grenzen institutionellen Rassismus' stößt? Wer will noch sagen, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, wo doch jeder sehen kann, dass dies weder beim Lohn noch bei den Chancen so ist? Wie viel wert ist eine Weltanschauungsfreiheit, die mit Kreuzen im öffentlichen Raum konfrontiert ist? Wie steht es mit dem Postgeheimnis, der Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn diese Grundrechte von Überwachungs- und Kontrolltechnologien eingeschränkt sind? Und wie lange will sich eine Gesellschaft erlauben, dass Privateigentum unermesslich wächst, ohne dass es verpflichtet, also »zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen« kann?
Am Wochenende meldeten Nachrichtenagenturen, die Bundesrepublik dränge die »Griechen zur Aufgabe von Budgetrecht«. Aber ist denn eine solche Forderung nach den Maßstäben des Grundgesetzes nicht verfassungswidrig? Die Haushaltshoheit gehört zum Kern der »Volkssouveränität« - alle Staatsgewalt, so gilt es zumindest hierzulande laut Artikel 20 der Verfassung, geht vom Volke aus. Der griechische Souverän hat in den vergangenen Monaten schon mehrfach spüren müssen, wie viel ihm die »Euro-Retter« noch zugestehen wollen. Den Griechen wurde ein Plebiszit verweigert, den Italienern das Recht bestritten, ihre Regierung frei und selbst zu wählen. Wegen der Staatsschuldenkrise, in welche die Finanzkrise der vom Staat geretteten privaten Banken und der riesigen, nach spekulativen Anlagen suchenden Vermögen erfolgreich uminterpretiert wurde, erpresst eine Regierung im Auftrag mächtiger Interessen eine andere. Eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz.
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