Mehr nehmen als geben
In China spielt die Kanzlerin die Menschenrechtlerin. Doch geht es um die Sicherung von Konzerngewinnen
Von Zeit zu Zeit, in regelmäßigen Abständen, setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich ihr Menschenrechtshütchen auf. Dann geht es auf die Reise, dieses Mal nach China, einen nominell kommunistischen Staat, der seit vielen Jahren Gefallen daran gefunden hat, als Staatskapitalismus zu agieren und nichts anderes tut als die Mächte des Westens auch: seine ökonomischen Interessen im Ausland sichern.
Die Menschenrechte beginnen die Kanzlerin und die mit ihr reisende Wirtschaftsdelegation, deren China-Visite gestern begann und morgen endet, zuverlässig stets dann zu entdecken, wenn Merkel und ihr Tross in einen Staat reisen, der sich kommunistisch nennt. Ist man hingegen auf Besuch beim befreundeten saudi-arabischen Autokraten, dessen Ölquellen es sich zu sichern gilt, wird das Menschenrechtshütchen meist hübsch fein abgenommen.
Tatsächlich geht es freilich um die Wirtschaft, vor allem um die Interessen der deutschen Unternehmen, darum, sowohl chinesische Investitionen nach Deutschland zu holen als auch darum, sich das bevölkerungsreiche Land als einen der größten Absatzmärkte für deutsche Exporte zu erhalten.
Die Volksrepublik China ist, was man eine Atom- und Supermacht zu nennen pflegt. Die Wirtschaft expandiert gewaltig, die Bevölkerung wächst, die Warenmenge verdoppelt sich alle zehn Jahre, das Handelsvolumen betrug im vergangenen Jahr über 140 Milliarden Euro, der Wohlstand in dem Schwellenland steigt mit enormer Geschwindigkeit: Es ist Deutschlands zweitwichtigster internationaler Handelspartner. Doch ist es auch Deutschlands Konkurrent. So funktioniert Weltwirtschaft: Geben und nehmen, hauen und stechen, und am Ende ist sich jeder selbst der Nächste.
So sichern sich etwa Chinas Unternehmen, die vom Staat politisch und finanziell unterstützt werden, seit Jahren Rohstoffe und Agrarland vor allem in Afrika. Chinas staatliche und private Konzerne kaufen sich in europäische, vor allem deutsche Unternehmen ein, überwiegend in die Branchen Kommunikationstechnologie, Automobil- und Maschinenbau, um sich so mehr und mehr die europäischen Märkte zu erschließen.
Anzunehmen ist, dass sich die globale Energieversorgung langfristig verändert, was heißt, dass mit fossilen Energieträgern wie Öl und Gas, die ohnehin endlich sind, weniger Gewinne zu machen sein werden. Stattdessen sind dem Internetportal »Karriere« zufolge künftig neben dem Agrarsektor, der immer mehr zur Herstellung von Treibstoffen ausgebeutet wird, »mineralische Rohstoffe wie Kupfer, Platin, Palladium oder Lithium das Grundmaterial der Fortentwicklung von Industriegesellschaften«. Wettbewerbsfähig in der internationalen Welthandelskonkurrenz bleibt nur, wer in der Lage ist, sich zur rechten Zeit Rohstoffe zur Warenproduktion und Energieversorgung zu sichern und seine Handelswege zu schützen. Deutsche Interessen sind hier offensichtlich. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie etwa ist ein nach wie vor stark wachsender Markt, an dem die deutschen Konzerne auch zukünftig zu profitieren gedenken.
In den Gebirgen Chinas existieren die größten Vorkommen sogenannter seltener Metalle, die vor allem für die industrielle Produktion von Kommunikationstechnologie, zum Bau von Batterien und High-Tech-Geräten wie Computern, Flachbildschirmen und Mobiltelefonen, aber auch von modernen Waffen gebraucht werden. Das Land fördert beinahe 100 Prozent dieser endlichen Rohstoffvorräte und »seltenen Erden« und hat in der Vergangenheit bereits gelegentlich seinen Export dieser Metalle eingeschränkt. Dagegen klagten die Europäer bei der Welthandelsorganisation (WTO). Denn transnational operierende Technologieunternehmen aus Europa, den USA und Japan sind auf die Einfuhr dieser Materialien angewiesen, wenn sie weiter Gewinne erwirtschaften wollen. Daher soll die WTO, als Partner von IWF und Weltbank zuständig für die weltweite Liberalisierung der Märkte und die Privatisierung von Gütern, Einfluss auf Chinas Politik nehmen und dafür Sorge tragen, dass die Konzerne künftig Zugriff auf die Ressourcen des riesigen Landes haben.
Immer wenn Merkel oder ein sie begleitender deutscher Konzernmanager in China von »Interesse an Stabilität« und »stabilen Entwicklungspartnerschaften« sprechen, sollte man daher aufmerksam werden: Hier ist in Wirklichkeit vom Rohstoffbedarf der Großmächte die Rede, hier geht es um weltweit auszutragende künftige Verteilungskämpfe. Die europäischen Mächte Deutschland und Frankreich haben ihr Betätigungsfeld ökonomisch teilweise an die Volksrepublik China verloren. Um ihre durch die Wirtschaftskrise verursachten Verluste wettzumachen, müssen sie, wie sie es wohl nennen würden, ihre »Wettbewerbsfähigkeit wiedergewinnen«, das heißt: besser ausbeuten.
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