Mir nach, Canaillen!
Heute wird Manfred Krug 75 - er ritt, sang, seilte sich ab, tanzte auf Messers Schneiden. Kumpel, Kämpfer, Kommissar
Der Mensch kann auf einer Bildfläche erscheinen, er kann aber auch vom Stapel laufen: keine Ortsveränderung, ehe an der Brust nicht gleichsam eine Flasche Sekt zerknallt ist. Auf die DEFA-Leinwand projizierte der Schauspieler Manfred Krug gern diese Brust, ein Schwung ganz »Auf der Sonnenseite«. Dann diese Vitalität: »Weite Straßen - stille Liebe«. Dieses freche Unmaß: »Mir nach, Canaillen!« Aber da war auch schmerzende Brüchigkeit am Abgrund - wenn an Sinn nichts blieb, außer durchzuhalten mit »Fünf Patronenhülsen«.
Und wenn die Partei auf den Bau kommt (es regnet in die Zimmermannshüte hinein), dann sagt Brigadier Balla: »Ich bin Pittiplatsch ... der Liebe« Und er senkt den Kopf, und der Regen pittiplatscht in die geöffnete Hand des Parteimannes. »Spur der Steine«. Arbeitermacht: Was der Arbeiter so alles macht. Um sich von der fremden Macht ebenso wenig besiegen zu lassen wie von der eigenen Ohnmacht ihr gegenüber.
Oft schien es, Natur habe sich nach diesem Kerl Krug ein Modell ihrer Mächtigkeit machen wollen. Solche Mächtigkeit konnte wundernützliche Funktionen haben: zum Beispiel dafür sorgen, dass neben ihr eine Jutta Hoffmann noch zarter aufschien, noch engelhafter, mit Flügelrändern, die sich angeschmutzt hatten - in Ecken, wo später so wenig DEFA sein durfte, und wo doch das meiste Leben war. Krug hat Jutta Hoffmann als »wunderbarste Filmschauspielerin« an seiner Seite bezeichnet, im Ehekammerspiel »Das Versteck« weitet sich eine Zwei-Seelen-Verliesgegend in eine ganze Gesellschaftswüstenlandschaft - indem die Kamera nie abschweift von den wenigen Gesichtern, die alles in sich haben.
Krug. Geboren 1937 in Duisburg. Selbstbewusst geworden in anderer Gegend. War es herumfliegender glühender Stahl, der dem einstigen Brandenburger Schmelzer ein Zeichen auf die Stirn setzte? Man wird auf die seltsamste Weise Arbeiterklasse. In diesem Schauspieler löste sich das Menschenbild von dieser Klasse auf: endlich der Mensch!
Krug beließ sich stets genussvoll bei sich selber, das war seine Stärke, er besaß ein freundschaftliches, nie verkrampft ehrgeiziges Verhältnis zu seinen künstlerischen Gegebenheiten. Er hat mit der gleichen Leidenschaft des Außersich-Seins hier gesungen, wie er dann »drüben«, mit leidenschaftlicher Vorsicht und klugem Realismus, lange Zeit nicht sang. Alles hat seine Zeit. Er hat für sein Buch »Abgehauen«, mit dem er uns Biermann und den SED-Ungeist um die Ohren hieb, viele Jahre gewartet, wo andere mit derartigen Themen hechelten. Das ist nicht Marktinstinkt, sondern blanke Intelligenz. Selbstmächtigkeit.
Er ist kein Verwandler, er verdrängt Raum, und just dies verwandelt die Welt, die der Mann bespielt. Manchen Hamburger »Tatort« verwandelte er so in einen Kunstort; an Kommissar Stoever (in Tätereinheit mit Charles Brauer) konnte man studieren, dass die Aura eines Schauspielers auch dort lebt, wo sie nicht unbedingt alles mit dem Stoff zu tun hat. Freilich nur, wenn einer über ein durchgreifendes Vermögen verfügt, Eigenes zu behaupten.
Ihm genügen ein paar ironische Zwischenhiebe, meist sehr leise; und was da vielleicht so stinkend faul alltäglich an diesem Manne wirkt, ist schon das Geheimnis und der Kern von Schwerarbeit. Ein Handwerker, und alle Tischler dürfen Krug dankbar sein, dass in seiner Nähe wohl niemand wagt, dieses Wort respektlos auszusprechen. Handwerk kommt nicht vor der Kunst, es ist sie schon. Krug gehört gleichsam zu den Filmleuten, die wahrscheinlich ausdrücklich Werkstatt sagen, seit jeder Friseur von Studio faselt.
Regisseur Egon Günther sprach von der »schauspielerischen Redlichkeit« Krugs, ihr könne auch die loseste Spielfreude nichts anhaben, »diese Redlichkeit trägt alles, macht alles aus«. Den »ganzen rüden Firlefanz von Befindlichkeiten, mit dem schwache Schauspieler, sind sie erst unter Vertrag, den Regisseur zu terrorisieren versuchen, um ihrer Selbst willen« - das habe Günther bei Krug nie erlebt. Der mache sicher, aber auch ängstlich. »Weil man mitkriegt, alles, was er beabsichtigt, ist gut bis hervorragend gespielt und mit solcher Kraft vorgetragen, dass man nicht widersprechen will. Können schon. Nicht will!«
Krug wollte erst wirklich in den Westen, als ihm erklärt wurde, die DDR sei Welt genug. Er wollte die Enteignung vom eigenen Zeitalter nicht ertragen, das ein Zeitalter der Öffnung ist. Und er verachtete mit dem Funktionärswesen, das ihm die Rollen nahm - weil er für Biermann war - auch jene Unkultur, für die er eine bittere Episode parat hatte: Der DEFA-Oberste hatte sich von Krug eine LP des ihm unbekannten Louis-Armstrong geliehen und sie mit den Worten zurückgegeben: »Brauche ich nicht, solche Geräusche macht mein Wannenabfluss, wenn ich das Badewasser ablasse.«
Krugs Kopf hat geschickt seiner Sinnlichkeit vertraut, die Philosophie des Lebens hat er stets an sehr praktische Wahrnehmung gebunden. Als die von ihm hoch geschätzte Kollegin Ursula Karusseit ein kluges Werkstattgespräch publizierte, darin der Satz vorkam »Bewusstsein kommt von Wissen«, da schrieb ihr Krug: »Liebe Usch! Bewusstsein kommt von Wissen - könnte das also auch heißen: Bepuschtsein kommt von Pissen?« Witzige Reaktion eines Gebrauchs-Weisen, der nie einen wirklichen Zugang fand zu Einflüsterungen einer trockenen, gelehrsam knarrenden Lehrsamkeit.
Er wirkte nie wie einer, der zu viel weiß, aber immer wie einer, der weiß, worauf es ankommt. Das gab auch jenen politisch Starken, die er spielte, den Widerstandskämpfern, den Kommunisten, den Parteimenschen (»Wege übers Land«, »Daniel Druskat«) etwas Unergründliches und Verunsichertes - so, als lebten diese Leute Rettung und Verhängnis immer gleichzeitig. Glaubwürdigkeit entsteht ja vor allem durch diese Gleichzeitigkeit von Verhängnis und Lernen, Unglück und Umkehr, Glück und Verlust. Die Utopie in den Köpfen ist nicht automatisch das, was die Hände tun. Zwei, oft genug im Widerspruch. Viel konnte seinen Gestalten dabei übern Kopf und übers Herz wachsen, kaum was übers Maul.
Man kann, was Krug könnte, an einem wie Jean Gabin studieren. Das Nicht-Spiel, der Kosmos der allerwinzigsten Nuancen als reifste Form des Spiels. Aber im deutschen Film findet Jean Gabin nicht statt. Hier ist der Schauspieler, der Krug heißt, nicht Gott in Frankreich. Auch wenn manche meinen, er lebe so (und ihm übelnahmen, dass ausgerechnet TV-Werbung für jämmerlich endende Telekom-Aktien zum Wohlleben beitrugen).
Dieser Mensch hat gut ausgebildete Schutzmechanismen, mit denen er überlegt umgeht. Er ist sorglich in den Dingen, denen er vertraut. Also ist er auch treu in dem, was ihm Menschen zu Freunden erhebt, und auch in dem, was sie in seinen Augen zu Arschlöchern macht. Das Witzige an Krug ist, das er Leute herrlich unsicher machen kann, was von beiden sie wohl seien. Mancher irrte sich da schon mächtig. Der vielleicht treueste Freund war Romancier Jurek Becker, der ihm den »Liebling Kreuzberg« unter die Haut schrieb. Und herrlich skurrile Postkarten aus aller Welt, die Krug zum schönen Buch bündelte.
Er geht durch seine Kunst mit krachendem Schritt und anmutigem Tanz (auch seine Stimme kann singend tanzen); das Fauchende hat etwas Bärisches, vielleicht liegt da ein ferner Urgrund, warum Krug in der »Sesamstraße« den Samson sprach und so großartige Katzengeschichten schreiben kann, an denen sogar die Highsmith ihre Freude hätte.
Zum 75. muss Raum für Tragik sein. Insgesamt war wohl mehr drin. Aber »Spur der Steine« war halt nicht nur ein guter Filmtitel - die Steine flogen auch. Und Krug duckte sich nicht. Ins andere Deutschland nahm er Träume mit, die unerfüllt blieben. Doch er buhlte nie um Popularität. Und: Er schmeckte ab; er biss bei allem gewissermaßen nur so weit zu, dass er sich die Chose, welche auch immer, noch auf der Zunge zergehen lassen konnte. Er hat gearbeitet und sich die Gesetze dieser Welt zu eigen gemacht. Aber er arbeitete, um zu leben, nicht umgekehrt. Höchste Kunst!
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