Rote Rosen von Böll

Beate Klarsfeld ist ein Teil von Deutschlands Anstand und Gewissen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Beate Klarsfeld als Kandidatin der LINKEN für das Amt des Bundespräsidenten? Die 73-Jährige sagt: »Es wäre eine Ehre für mich.« Der Satz ließe sich erweitern: Klarsfeld als Bundespräsidentin wäre auch eine Ehre für das Land, in dem sie geboren wurde.

Beate Klarsfeld steht für Wahrheit, Anstand, Mut. Sie steht für Menschlichkeit. Man reduziert die zierliche Frau oft auf den Begriff »Nazi-Jägerin« und ihren Kampf auf ein kurzes Klatschen, das weltweit widerhallte. Am 7. November 1968 ohrfeigte Beate Klarsfeld Kurt Georg Kiesinger, den deutschen Bundeskanzler.

Mehrmals hat sie den Versuch unternommen, dieses Zeichen zu setzen gegen die Art und Weise der »Geschichtsaufarbeitung« im Westen Deutschlands. Kiesinger verkörperte die unselige Kontinuität zwischen Nazireich und Bundesrepublik. Der Kanzler war als NSDAP-Mitglied leitender Mitarbeiter der Auslandsrundfunkpropaganda unter Goebbels gewesen.

1966 hatte Klarsfeld in der französischen Zeitung »Combat« einen Text veröffentlicht. Da stand: »Herr Kiesinger hat sich einen ebenso guten Ruf bei den Reihen der Braunhemden verschafft wie in denen der CDU.« Klarsfeld wurde gekündigt vom Deutsch-Französischen Jugendwerk, bei dem sie angestellt war.

1968 beim CDU-Parteitag in der Westberliner Kongresshalle ergab sich die Chance zur Reaktion. Ein »Stern«-Fotograf hatte ihr seine Pressekarte geliehen. Mit einem Stenoblock in der Hand ging sie zum Podium - und traf nicht nur Kiesinger sondern ein ganzes System. Noch am selben Abend wird sie in einem Schnellverfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Heinrich Böll, der große Literat und Nobelpreisträger, schickt 50 rote Rosen.

Dem »nd« sagte Klarsfeld damals, sie habe Kiesinger geohrfeigt »im Namen der Millionen Opfer, die im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind, nicht nur der Juden, sondern auch der Deutschen, der Polen, der Russen, die Opfer des Naziregimes wurden«.

Beate-Auguste Künzel war im Jahr des deutschen Überfalls auf Polen, 1939, in Berlin geboren worden. Ihr Vater war »kein Nazi, aber auch kein Widerstandskämpfer«, sagt die Tochter. Er war ein Versicherungsangestellter und die Nazizeit kein Thema bei den Künzels. Beate besucht eine Handelsschule, wird Sekretärin bei Schering. Paris zieht sie an, dort arbeitet sie 1960 als Au-pair-Mädchen, lernt Serge kennen und eine völlig neue Sicht auf die Welt, auf Deutschland, auf sich. Serge ist Jude, sein Vater war in der Résistance. Im September 1943 wurde er verhaftet, deportiert und in Auschwitz ermordet.

Die Protestantin heiratet den Juden. Ihr Mann, ein Rechtsanwalt, erzählt von seiner Familie, empfiehlt ihr Bücher. Erstmals hört sie die Namen von Hans und Sophie Scholl und spürt als Deutsche zunehmend »Verantwortung, nicht Schuld«. Daraus entwickelt sie ihre Aufgabe und steht für Antifaschismus der Tat.

Serge Klarsfeld reist in das Berlin hinter der Mauer, besorgt Dokumente, die DDR hilft beim Druck einer Broschüre im Selbstverlag. Titel: »Die Wahrheit über Kurt Georg Kiesinger«. Für 20 Euro (plus Versandkosten) wird sie noch antiquarisch angeboten.

Man hat ihr und ihrem Mann immer wieder vorgeworfen, sie hätten »Shows« inszeniert - eine Unterstellung. Beispiel Lischka.

1971 versuchten die beiden, den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Kurt Lischka nach Frankreich zu entführen. Der Gestapo-Mann lebte unbehelligt in Köln, obwohl er für die Deportation von 76 000 Juden verantwortlich und in Frankreich zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt worden war. Die Entführung scheiterte, Lischka wurde schließlich nach internationalen Druck 1979 der Prozess gemacht - gemeinsam mit Herbert Hagen und Ernst Heinrichssohn, die gleichfalls im Mordgetriebe der Nazis Verantwortung getragen hatten.

Der spektakulärste Erfolg der Klarsfelds war die Enttarnung, Auslieferung und Verurteilung des »Schlächters von Lyon«. Der Gestapo-Chef Klaus Barbie lebte - gedeckt von deutschen Geheimdiensten - als Klaus Altmann in Bolivien, beriet das dortige Folterregime und rühmte sich, maßgeblich zur Vernichtung der Che-Guevara-Gruppe beigetragen zu haben. Als Barbie verurteilt war, hatte Beate Klarsfeld eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Marlene Dietrich sagte: »Wunderbar, was Sie tun!« Nicht erfolgreich waren die Klarsfelds im Falle des Eichmann-Stellvertreters Alois Brunner, den sie in Syrien aufgespürt hatten.

Die Bestrafung der Naziverbrecher war für Beate Klarsfeld immer nur eine Aufgabe. Sie ist unter anderem Mitbegründerin der Organisation »Söhne und Töchter deportierter französischer Juden«, will an die Opfer erinnern. Dabei zwingt Klarsfeld andere, sich zur Wahrheit zu bekennen. Auch die Deutsche Bahn, deren Vorgänger Reichsbahn Millionen in den Tod gefahren hatte.

In Frankreich wurde Beate Klarsfeld von drei französischen Präsidenten ausgezeichnet - von Mitterrand, Chirac und Sarkozy. In Israel erhielt sie eine Tapferkeitsmedaille. Und in Deutschland? Joschka Fischer hat als Außenminister mal zum Geburtstag gratuliert, ein Antrag zur Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz wurde abgelehnt. Jüngst erst lehnte Fischers Nachfolger Guido Westerwelle (FDP) einen solchen Antrag ab.

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