Gehandelt im eigenen Auftrag
»Die Welt« müht sich, erneut eine Kampagne gegen Beate Klarsfeld anzufachen
Eine Antifaschistin ohrfeigt öffentlich einen ehemaligen Nazi. Unter verständigen Menschen würde eine solche Handlung keine Empörung auslösen. Doch in den sechziger Jahren, als in der Bundesrepublik Deutschland an sämtlichen Schaltstellen des Staates, der Politik, der Justiz und der Polizei, in Wirtschaft und Kultur ehemalige Nationalsozialisten noch ganz selbstverständlich das Sagen hatten, wurde Klarsfelds anrührende symbolische Geste, die auch eine solche der Ohnmacht gegenüber der faschistischen Kontinuität in Deutschland war, als Attacke verstanden.
In den bundesdeutschen Medien wurde die engagierte Antifaschistin, die mit ihrer Tat auch auf das Beschweigen dieser Kontinuität verwies, seinerzeit als rachsüchtige und verblendete Geistesgestörte dargestellt, die »unseren Kanzler« angegriffen hat. Dass man ihr den Dank für ihr Engagement bis heute schuldig geblieben ist, sagt einiges über dieses Land. Doch wer hätte sie auch ehren sollen im Nachhinein? Etwa der ehemalige Wehrmachtsleutnant Richard von Weizsäcker (CDU), der am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt war? Oder Roman Herzog (CDU), der sich vom einstigen NS-Marinerichter und CDU-Ministerpräsidenten Hans Filbinger zum Minister machen ließ? Von deren Vorgängern ganz zu schweigen.
Geht es nach den professionellen Kommunistenjägern der Tageszeitung »Die Welt«, die im Hause Springer erscheint, hat die »Nazi-Jägerin« nach ihrer öffentlichkeitswirksamen Tat selbst schwerste Schuld auf sich geladen: Beate Klarsfeld, so hieß es vorgestern in einem Artikel, soll im November 1968 von der SED einen »beachtlichen« Geldbetrag angenommen haben. Verwiesen wird auf ein Schreiben des ehemaligen SED-Politbüromitglieds Albert Norden, in dem dieser die Anweisung erteilt, Klarsfeld »2000 Westmark für weitere Initiativen bereitzustellen«. Von dem Springer-Blatt wird ihr des weiteren zum Vorwurf gemacht, dass sie für eine Zeitschrift, die »DDR-Revue«, einen Artikel verfasst hat, in dem sie die Gründe für die von ihr verabreichte Ohrfeige darlegt und der BRD attestiert, seit Kriegsende nicht gerade große Fortschritte in Sachen Demokratie gemacht zu haben. So weit, so nachvollziehbar, zieht man in Betracht, dass man seinerzeit die Forderung, die »langhaarigen Gammler endlich ins Lager zu stecken« - gemeint waren linke oder linksliberale Studenten - in jeder bundesdeutschen Fußgängerzone hören konnte. Der »Welt« zufolge jedoch weckt Klarsfelds jahrzehntealter Artikel »Zweifel« an deren »politischem Urteilsvermögen«.
Vom Springer-Blatt dazu befragt, antwortete Klarsfeld, sie sei bei ihrer Arbeit »von den Regierungen der USA, Frankreichs, Israels und der DDR unterstützt« worden. Weiter heißt es: »Ich bedauere, dass die Bundesregierung dazu nicht den Mut hatte. Ich habe nie im Auftrag der DDR gearbeitet, sondern in meinem eigenen Auftrag.«
Dass die Antifaschistin für die Enttarnung und Verfolgung ehemaliger Nazi-Verbrecher »Hilfe aus der DDR in Anspruch genommen« hat, scheint die »Welt« als skandalös zu betrachten. Ein ausgewiesener Nazi wie Kurt-Georg Kiesinger hingegen wird in dem tendenziösen Artikel fix umgedeutet zum heimlichen Widerständler. Als einziger Nachweis für dessen angebliche antifaschistische Gesinnung wird herangezogen, dass er sich nicht näher bezeichneten »ehemaligen Weggefährten« zufolge »abfällig über Hitler geäußert haben soll«. Dem »nd« sagte Klarsfeld gestern: »Es wird versucht, mich so darzustellen, als hätte ich einen Unschuldigen geohrfeigt, was offenkundig nicht so war. Die Haltung der Springer-Presse mir gegenüber hat sich offenbar seit 1968 nicht geändert.«
»Langjährige DDR-Kontakte« wirft die »Welt« der 73jährigen vor, ganz so, als handle es sich hierbei um einen Pakt, den sie mit dem Teufel persönlich geschlossen hat. Wie albern ein solcher Vorwurf ist, zeigt sich etwa allein daran, dass sich auch Willy Brandt und Franz-Josef Strauß zu ihren Lebzeiten »langjährige DDR-Kontakte« hätten vorwerfen lassen müssen. »Ost-Berlin« habe Klarsfeld »sogar einen Historiker zur Seite« gestellt, heißt es empört in der »Welt«. Was mag noch Schreckliches vorgefallen sein? Selbst der traditionell der kommunistischen Propaganda unverdächtige »Tagesspiegel« schrieb vor kurzem: »Dass die Klarsfelds offenbar Kontaktpersonen der Stasi waren, bedeutet an sich noch nichts.«
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