Die Peredwischniki
In Chemnitz werden Meisterwerke des russischen Realismus gezeigt
Die Peredwischniki - sie wurden auch die »Wandermaler« genannt - waren eine Künstlergruppe, die sich 1870 in St. Petersburg zusammenfand und mit ihren Ausstellungen, die sie in viele Städte Russlands gehen ließ, breiten Massen den Weg zur Kunst eröffnen wollte. Noch nie war in der russischen Kunstgeschichte der Drang der Künstler zum Volk so groß gewesen, noch nie waren so viele Bilder entstanden, die den vielfältigen, großen und kleinen Ereignissen im Leben der Bauern wie der Städter, eigentlich der Lebenswirklichkeit aller Schichten gewidmet waren. Bilder - Porträts, Interieurs, Landschafts- und Genredarstellungen, aber auch Historienbilder -, die den Betrachter im Innersten zu berühren vermochten und doch das Leben nur in einzelnen Facetten reflektierten. Es waren aber Verallgemeinerungen, wie sie von dieser neuen realistischen Kunst erwartet wurden, die sich energisch von den alten akademischen Regeln und Traditionen befreit hatte.
Das Nationalmuseum Stockholm hat in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Tretjakow-Galerie Moskau und dem Staatlichen Russischen Museum St. Petersburg die bisher umfangreichste Ausstellung der Peredwischniki gezeigt, die nun an die Kunstsammlungen Chemnitz weitergereicht werden konnte. Mehr als 90 Gemälde sind zu sehen.
Mit ihrem demokratischen Pathos, ihrer ausgeprägten sozialen Tendenz gehören Ilja Repins Bilder zu den Spitzenleistungen dieser Zeit. In der berühmten Szene der »Wolgatreidler« (1870-73) gab der Maler jeder einzelnen Figur einen individuellen Charakter und ein eigenes Thema, so dass sie in ihrer Gesamtheit eine Vielfalt, einen Typenreichtum verkörpern, wie er sich auch in der Realität findet.
In »Verweigerung der Beichte (vor der Hinrichtung)« (1879-85) hat der stumme, unlösbare Konflikt zwischen dem zum Tode verurteilten Revolutionär und dem Priester einen Punkt maximaler emotionaler Spannung erreicht.
Nikolai Ge porträtiert Lew Tolstoi bei der Arbeit (1884) und gibt Einblick in dessen Denkprozess. Nikolai Jaroschenko bringt mit dem Gemälde »Der Heizer« (1878) als Erster das Thema des Fabrikarbeiters in die russische Malerei ein. Dem harten Leben der Berg- und Hüttenarbeiterfamilien widmet Nikolai Kassatkin eine Reihe eindrucksvoller Gemälde, so in »Arme Leute sammeln Kohle in einer stillgelegten Grube« (1894). Iwan »Kramskoi, seine Tochter porträtierend« (1884) ist ein Bild im Bild: Profilkopf und Rückenansicht des Künstlers korrespondieren im Hell-Dunkel mit dem Porträt der Tochter auf der Staffelei.
Kein exaktes Ebenbild einer konkreten Landschaft, sondern eine poetische Vision der rauen Natur des Nordens will Archip Kuindschi geben. In »Mondnacht am Dnepr« ( 1880) erzeugt er die Illusion eines hypnotisierenden Lichteffekts und versetzt den Betrachter mitten in die Landschaft hinein. Bei Isaak Lewitan verbindet sich die impressionistische Dynamik der Malweise mit einer spröden Raffinesse in der Farbigkeit. Mit seinem launischen Farbenspiel fasziniert ein lichtdurchfluteter »Birkenhain« (1889), während mit der »Wladimirka« (1892) jene traurig berühmte Straße dargestellt ist, auf der Strafgefangene in die Verbannung nach Sibirien getrieben wurden. Der Weg - Symbol der Leidensfähigkeit des Volkes als auch geistiger Pilgerschaft.
In einer Zeit des sozialen und politischen Wandels im vorrevolutionären Russland haben die Wandermaler für sich die besondere Funktion der liebevollen Einzeldarstellung, der Erschließung seelischer Vorgänge wie messerscharfer analytischer Dokumentation erkannt. Was ihre Werke auszeichnet, sind Leidenschaft, Engagement und künstlerische Reife, und zudem sind sie ein Spiegelbild des russischen Charakters und des Geistes, der damals in Russland herrschte.
Die Peredwischniki. Maler des russischen Realismus. Kunstsammlungen Chemnitz, Di-So 11-18 Uhr, bis 28. Mai. Katalog.
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