Farbzauber und Formwille

Wilhelm Lachnits Spätwerk in Dresden

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.
»Knabe mit Kanarienvogel«, 1946
»Knabe mit Kanarienvogel«, 1946

Nun endlich sind die Würfel gefallen. Ein fatales Versteckspiel um den zweiten Teil des Lebenswerkes des Dresdner Malers Wilhelm Lachnit (1899-1962) ist beendet. Nachdem im gerade vergangenen großen Überblick über »Die Neue Sachlichkeit in Dresden« seine Bilder verdientermaßen besonders im Mittelpunkt standen, werden nun mit dem Zeigen der von 1945 bis zu seinem Tod 1962 geschaffenen Werke die wesentlichsten Fragen zu seinem Werk beantwortet. Wie so häufig schon hat eine gründliche Forschungsarbeit dazu die Städtische Galerie Dresden übernommen. Gisbert Porstmann hat sich als Leiter die Neuentdeckung und Neubewertung des hohen Ranges Dresdner Malerei im 20. Jahrhundert zum Ziel gesetzt. In diesem Fall hat Sigrid Walther mit Gewinn für uns Betrachter den Part der Kuratierung und Kommentierung übernommen.

Dass es die Brüder Lachnit gegeben hat, hat sie leider, obwohl der Nachlass beider in einer Hand bewahrt wird, nur im Bild- und Berichtsteil des Kataloges deutlich gemacht. Wilhelm wurde 1899 und Max 1900 in Gittersee bei Dresden geboren. Die beiden Söhne eines aus dem Mährischen zugewanderten Tischlermeisters machten eine Lehre, der ältere als Schriftmaler, der jüngere als Tischler. Über Abendkurse an der »Kunstgewerbeanstalt« kamen beide zum Studium. Max studierte dort Innenarchitektur, und blieb als bildhauernder und zeichnender Autodidakt fortan immer im Schatten des großen Bruders. Dieser gelangte nach dem Studium der Malerei an der Akademie schnell zu hoher künstlerischer Reife. Und eine Künstlergruppe um ihn herum verkörperte sehr früh schon eine sozialkritisch engagierte, im bürgerlichen Sinn aber durchaus hochkultivierte Kunstgesinnung.

Wer sich da an Otto Dix’ kompromissloser Haltung orientierte, war links. Die radikalsten waren von Anfang an Hans Grundig und seine Frau Lea Langer, der Bildhauer Eugen Hoffmann und die Malerfreunde Otto Griebel und Wilhelm (genannt Bill) Lachnit. Nach dem KPD-Beitritt gründeten sie 1929 die ASSO und 1932 die Neue Dresdner Sezession. Die da mit revolutionärem Gestus die Kunstszene mobilisierten, finden sich 1933 postwendend in Gestapohaft wieder. Anschließend werden sie ins politisch Unverbindliche abgedrängt. Ihr Zwanziger-Jahre-Elan ist vom Naziterror ein für allemal erledigt, und wird sich nie wiederbeleben lassen. Das war 1945, da sich ihre politischen Genossen 1945 politisch »Oben« glaubten, deren Grundirrtum: Mit geballter Faust der Sonne entgegen - danach war den bildenden Künstlern nicht. Sie hatten, gerade in Dresden, mehr zu bieten. Sie wollten ganz neuartige Positionen erschließen.

Wilhelm Lachnit vermittelte als neben Grundig und Hoffmann zum Professor berufener Genosse von 1947 bis 1954 jungen Leuten seine enorme Malkultur und souveräne Weltsicht. Dann wurde er aus dem Amt gedrängt - wie übrigens viele vor, neben und nach ihm auch. In diesem Fall lässt sich der Hergang minutiös im Katalog nachlesen. Nervende Einsprüche der Bürokratie. Kleinliche Schikanen. Aber auch die Reisen nach Italien und Süddeutschland sowie zur ersten Documenta in Kassel. Wie bezeichnend sympathisch wirken Brief- und Tagebuch-Zitate aus der befreundeten Künstlerszene - von Max Schwimmer, Kurt Querner und anderen Kollegen. Sie und seine Schüler, sie schätzten, ja liebten ihn. Hans Grundig hatte schon früh in ihm diese »merkwürdige Mischung von Heiterkeit und Melancholie« bewundert. Als Bill Lachnit sich nun ins »Refugium« dieser heiteren Melancholie zurückzieht, resigniert er keineswegs. Nein. Gerade diese Ausstellung zeigt einen aufschwingenden Höhenflug in rundum karger trauriger Zeit. Sie beweist die Selbstbesinnung auf sein Eigentliches. Was sich im »Akt mit Homerkopf« von 1940/41 schon ankündigt, wird 1945 im »Stilleben mit Rosen und antiken Gipsen« fortgesetzt - eine Rückbesinnung auf ewige Kunstwerte. »Knabe mit Kanarienvogel« war schon 1946 parallel zu seinen heroischen Wandbildbemühungen um das Arbeitsmilieu und zu seiner Regiearbeit an der »Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung« entstanden. Ganz folgerichtig weist die Gestik der »Gliederpuppe« 1948 weiter in Lachnits farbige Zauberwelt um »Sinnendes Mädchen« 1950 und gipfelnd in »Ruhender Tänzer« 1955 und »Akt mit Malven« 1957. Vollendung träumend tummelt sich der Meister in sinnenfroher Stilllebenwelt, in der er Zeiträume rafft und intime Raumerlebnisse schafft. All das geschieht auf der Fläche recht großer und wesentlich kleinerer Bilder. Die Untermalung mit Temperafarben ist von Ölfarbenglanz erhöht. All das weist über die veristisch asketischen Lasuren seiner ungestümen Anfangsjahre weit hinaus.

Das Beglückende an all dem ist die intensive Ausstrahlung, die all diese kompositorisch ungemein ausgewogenen Bildfindungen auszeichnet. »Die Farbe ist das Blut der Malerei«, zitiert Querner zustimmend den bestaunten Meister. Der Blutkreislauf seiner Farbigkeit wird immer elementarer, je stiller seine »Leben« da so atmen. Er stimmt kaum je gesehene Farbklänge an, er rundet und lässt schwingen, er schafft Ballungen von Gegenstand und Körperbewegung. Das Glück wiederum auch dieser Ausstellung ist, dass scheinbar nebensächliche Werke aus Privatbesitz die Wirkung abrunden. Die Stillleben mit Kater und Maske und mit Kernbeißer von 1954 sah ich beispielsweise bereits vor Jahren in der Privatwohnung der Familie von Bruder Max in Berlin-Wannsee. Im Zwieklang mit Max’ eher konstruktiven Schöpfungen stimmten sie im Milieu eines Wohnzimmers den edelsten denkbaren Ton an: den einer bezaubernd dissonanten Harmonie.

Refugium und Melancholie. Wilhelm Lachnit. Malerei. Städtische Galerie Dresden, bis 3. Juni

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