Von der Zaudernden zum Zugpferd
Hannelore Kraft könnte in NRW erstmals seit 17 Jahren alleine mit der SPD regieren
Die NRW-SPD befindet sich im Höhenflug: Laut jüngsten Umfragen verzeichnet sie derzeit 39 bis 40 Prozent Wählerzustimmung. Tendenz: stark steigend. Der CDU werden derzeit 31 bis 34, den Grünen elf bis 13 Prozent prognostiziert. Tendenzen: sinkend. Derweil dümpeln LINKE und FDP bei drei bis vier Prozent herum.
Der Piratenpartei werden in der letzten Umfrage vor der Saarlandwahl nur noch fünf statt bisher sechs oder noch mehr Prozent vorausgesagt. Hundertprozentig sicher ist ihr Einzug in den Landtag nicht. Die sonstigen Parteien werden unter dem Strich wohl weitere vier Prozent erringen.
Es ist also möglich, dass Parteien, die nicht im Parlament vertreten sein werden, etwa 18 Prozent der Stimmanteile erhalten. Entsprechend könnte die SPD bei der Wahl 40 plus ein paar Prozente erringen, aber über die absolute Mehrheit der Landtagssitze verfügen. Dann könnte sie ohne Koalitionspartner regieren.
Ausgerechnet Hannelore Kraft, die 2010 das schlechteste Wahlergebnis der NRW-SPD seit 56 Jahren einfuhr, die zur Machtübernahme gedrängt werden musste, die bereits nach 18 Monaten mit ihrer rot-grünen Minderheitsregierung scheiterte, könnte Chefin einer SPD-Alleinregierung werden. Der ersten seit 1995, als die NRW-SPD ihre absolute Mehrheit verlor und die ungeliebten Grünen ins Boot holen musste.
Bisher war man allseits davon ausgegangen, dass aus einer Neuwahl vor allem die Grünen gestärkt hervorgehen würden. Nun könnten die Ökobürgerlichen auf den harten Oppositionsbänken landen, vielleicht sogar mit einem schlechteren Wahlergebnis als 2010, als sie 12,1 Prozent erzielten. Der grüne Höhenflug mit einem Peak von 24 Prozent im April letzten Jahres scheint beendet.
Die Wahlergebnisse der nicht im Parlament vertretenen Parteien können eine Regierungsbildung determinieren. Auch in NRW: Für eine komfortable Landtagsmehrheit von elf Stimmen reichte der SPD 1980 bereits ein Wahlergebnis von 48,4 Prozent. Denn die FDP scheiterte äußerst knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, es entstand ein Zwei-Parteien-Parlament mit einer regierenden SPD und einer oppositionellen CDU.
1966 jedoch musste die SPD trotz eines Wahlergebnisses von 49,5 Prozent die Macht mit der FDP teilen, weil ihr ein Sitz zur eigenständigen Mehrheit fehlte. Sonstige Parteien hatten insgesamt nur 0,3 Prozent Wählerstimmen eingesammelt.
»Wir in Nordrhein-Westfalen« lautete in ihren erfolgreichsten Jahren der zentrale Claim der SPD an Rhein und Ruhr. Johannes Rau galt als ausgesprochen populärer Landesvater. Der »rote Pate« Friedel Neuber organisierte als Chef der WestLB die drecksindustrielle Standortpolitik. Kritiker sprachen von »rotem Filz«, monierten eine lähmende Kungelei zwischen »Beton-SPD« und Konzernen.
Droht eine neue sozialdemokratische Blütezeit nach der Neuwahl am 13. Mai? An jenes goldene Zeitalter der Jahre 1980 bis 1995 jedenfalls knüpft Hannelore Kraft nun an: Nicht nur gibt sie sich betont industrienah. Auch das erste der Öffentlichkeit vorgestellte Wahlkampfplakat der SPD zeigt Kraft als Sympathieträgerin mit strahlend blauen Augen. Das Sprüchlein dazu lautet »NRW im Herzen«. Frau statt Rau, Herz statt Terz - politische Inhalte würden wohl stören beim Retro-Trip.
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