Energiekämpfe für Energiedemokratie
Lasst uns über Alternativen reden!
Die »Energiewende« in der BRD setzt auf Grünen Kapitalismus. Favorisiert werden marktförmige Lösungen, die der Struktur und Macht der Konzerne entsprechen und das dezentralisierende Potenzial der neuen Technologien konterkarieren: großtechnische Projekte wie Desertec, riesige Offshore-Wind-parks, monopolisierte transkontinentale Supergrids für den großräumigen Stromexport und - Atomkraft als Exportgut in die aufstrebenden kapitalistischen Zentren China, Indien oder Brasilien. Letztere favorisieren ebenfalls Megaprojekte wie Atomkraftwerke oder Staudämme, setzen auf Produktion von Biotreibstoffen auf Kosten von Nahrungsmitteln oder auf Kohle, Öl und Lithium für die globale E-Auto-Entwicklung, etwa in Bolivien.
Zugleich wird der Fossilismus auf die Spitze getrieben, noch nach dem letzten Tropfen Öl gegraben - bislang unprofitable Ölsande, riskante Tiefseebohrungen oder abgelegene Ölfelder werden durch steigende Ölpreise lukrativ: »Xtreme Energy« nennt dies der US-amerikanische Wissenschaftler Michael T. Klare. Diese »Falschen Lösungen« produzieren eine Vielzahl sozial-ökologischer Konflikte entlang von Klassen, ethno-nationalen, geschlechtlichen und anderen Zuschreibungen. Meist sind die Widerstände lokal, partikular, kaum vernetzt, die Bedingungen und worum gekämpft wird, oft kaum vergleichbar: gegen Ölkonzerne in Nigeria, gegen den Bau des weltweit größten Atomkraftwerkes in Südindien, gegen das Abtragen ganzer Dörfer durch den Braunkohleabbau; auch gegen CCS-Technologien in Brandenburg, gegen die »Verspargelung der Landschaft« mit Windrädern. Lassen sie sich verbinden, als Teil eines gemeinsamen, auf Demokratisierung gerichteten Kampfes?
Die Linken sind sich einig, dass ein ›Energiesystemwechsel‹ notwendig ist (s. Herrmann Scheer in LuXemburg 1/2011). Die Schritte dorthin sind auch innerhalb linker Bewegungen umstritten: Wie können soziale und ökologische Politiken zusammengebracht werden? Die Frage stellt sich in Lateinamerika wie in Brandenburg.
Die Alternative zum Grünen Kapitalismus heißt: Grüner Sozialismus. Sie orientiert sich an vier Leitlinien.
1. Demokratisch umsteuern
»Energie ist Macht«, schreibt Marcel Hänggi. Die »Techno-Logik« (Scheer) der fossilen und nuklearen Technologien ist kapitalintensiv, erfordert komplexe großtechnische Anlagen und bringt große Risiken mit sich; sie produziert eine zentralisierte Organisation und monopolisiert wirtschaftliche Macht. Die Logik zentraler Lösungen beherrscht auch die »Energiewende«. »Es ist das Mindeste für Politiker der LINKEN, Technologien wie CCS nicht gegen den Willen der Betroffenen durchsetzen zu wollen, auch nicht durch die Hintertür«, so Dagmar Enkelmann. Proteste richten sich gegen die undemokratische Verordnung so weitreichender Maßnahmen, ohne Möglichkeit der Mitgestaltung. Viele stehen etwa dem Bau neuer Hochspannungsleitungen skeptisch gegenüber. Die Wende zu erneuerbaren Energien lehnen sie deshalb noch lange nicht ab. Sie zweifeln, ob es nicht auch anders geht.
Es geht: Aus dem »Nein zu einer 380 kV-Leitung durch Thüringen« wurde ein »Ja zu einem Kraftwerk in der Gemeinde«; aus dem »Nein zur Verkupferung der Landschaft« ein »Ja zu einer Vielfalt an direkter, wohnortnaher Energieproduktion«, schildert Bodo Ramelow einen politischen Prozess in Kommunen Thüringens, der die Menschen einbezog. Linke Konzepte »sollten nicht in den Hinterzimmern von Parlamenten und geschlossenen Expertenrunden entstehen, sondern vor allem vor Ort, im Gespräch, in direkter Anschauung«, fordert er.
2. Ökologisch umgestalten
Das ist das Ziel. Der gesamte Energiesektor (Strom, Wärme und Transport) muss auf hundert Prozent erneuerbare Energien umgestellt werden - regenerativ, regional und dezentral. Die Linke und zahlreiche soziale Bewegungen setzen sich für Re-Kommuna-lisierungen ein, die Neuvergabe der Netzkonzessionen an Stadtwerke oder andere öffentliche Unternehmen, den Aufbau genossenschaftlicher Versorger oder dafür, dass sich immer mehr Familien Solarzellen aufs Dach oder ein Blockheizkraftwerk in den Keller bauen lassen und Mitglieder von Energiegenossenschaften oder Lieferanten kommunaler Anbieter werden. Landkreise in Deutschland erklären sich zu energieautonomen Regionen, BioEnergiedörfer verbinden regenerative Energieproduktion mit neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten vor Ort. Die Preise bleiben unter Kontrolle, die Wertschöpfung und die Steuereinnahmen verbleiben in der Region. Wo möglich, schließt das perspektivisch die Enteignung und Zerschlagung der großen Stromkonzerne ein.
Öffentliche Unternehmen sind bisweilen von Widersprüchen durchzogen - dienen sich lokalen Kapitalen an, verinnerlichen Marktprinzipien etc. -, doch ihr Institutionengefüge ist Ansatz für Demokratisierungsprozesse. Die Stadtwerke in Sacramento (Kalifornien) bieten hier ein Beispiel eines demokratisch geführten öffentlichen Unternehmens, von der Offenlegung aller Diskussionen und Entscheidungen bis zur Wahl der Vorstände durch die Bevölkerung, berichtet Jan Latza. So kann »Energiedemokratie« (Tadzio Müller) unterschiedliche Bewegungen und Initiativen wie auch unterschiedliche dezentrale Energieformen miteinander verbinden.
Für Dagmar Enkelmann geht die Gleichung »öffentliches Eigentum = bezahlbare Energie« nicht auf. »Demokratisch geführte kommunale oder genossenschaftliche Energieversorger müssen zwar keine Extra-Profite erzielen, schwarze Zahlen aber schon. Es steht außerhalb ihrer Macht, zum Zeitalter billiger Energie zurückzukehren.«
Um Energiearmut zu vermeiden, verlangt das Parteiprogramm der LINKEN, dass der Basisverbrauch »erschwinglich für alle bleiben« muss und durch zusätzliche Gebühren der Vielverbraucher finanziert wird. Wir brauchen Strategien für gerechte Übergänge, denn die ökologische Umgestaltung wird auch »Verlierer« haben, bestimmte Produktionen müssen schrumpfen. Hier lässt sich auf - widersprüchliche - Erfahrungen mit strukturellem Wandel mit Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zurückgreifen. Staatliche und betriebliche Mittel müssen bereitgestellt und gewerkschaftliche Vertretungen in die Umgestaltung einbezogen werden. An betriebliche wie gesellschaftliche Initiativen für Arbeitszeitverkürzung ist anzuknüpfen. Öffentliche Aufträge der Kommunen bzw. Arbeitsplätze in öffentlichen Unternehmen sind an tarifliche Standards und Ausweitung der Beschäftigung zu binden. Nur so lassen sich Konflikte z.B. um den Abbau von Arbeitsplätzen im Braunkohletagebau bzw. gegen neue Risikotechnologien wie CCS entschärfen.
3. Umverteilen
Ohne eine öffentliche Finanzierung, ein sozial-ökologisches Investitionsprogramm wird es nicht gehen. Zu seiner Finanzierung bedarf es einer gerechten Finanz- und Steuerreform, am besten europäisch. In Kombination mit Ökosteuern sind Unternehmen, Banken und Vermögende wieder stärker zur Finanzierung des Öffentlichen heranzuziehen. Ein öffentlich finanzierter, sozial-ökolo-gischer Umbau würde nicht zuletzt eine Perspektive für die europäischen Krisenländer eröffnen, die die Regierung Merkel in die Depression zu treiben droht.
4. Global solidarisieren
Es reicht nicht, eine Umstellung des Energiesektors auf erneuerbare Energien bei konstant steigendem Output zu fordern, der Ressourceneinsatz in den Industrieländern muss drastisch sinken. Der Ersatz fossiler Energien darf weder durch den Import von Xtreme-Energy noch von Biotreibstoffen aus dem globalen Süden erfolgen - beide haben dort zerstörerische Folgen. Statt die Abhängigkeit vom Weltmarkt zu befördern, fordert Alberto Acosta »Energiesouvernität« für den Süden. Diese wäre zu kombinieren mit einer Planung der globalen Stoff- und Ressourcenströme, um den Zugang zu und die Nutzung von Ressourcen gemeinsam zu regulieren und zu begrenzen. Marktmechanismen wie Zertifikate-Lösungen oder Steuerung über den Preis versagen. Ein konsequenter Technologietransfer von Nord nach Süd wäre zu ergänzen durch einen Erfahrungstransfer ökologischerer Lebensweisen von Süd nach Nord.
Von Ecuador bis Mecklenburg-Vorpommern - auf lokaler und regionaler Ebene finden sich zahlreiche Beispiele für einen Einstieg in einen »Energie-System-wechsel«, der schon jetzt eine Dezentralisierung der Energieproduktion mit einer Demokratisierung von Macht- und Eigentumsverhältnissen verbindet.
Zum Thema »Energiedemokratie und grüner Sozialismus« veranstaltet die Rosa-Luxemburg-Stiftung heute von 14 bis 21 Uhr eine Konferenz im Erfurter Haus Dacheröden (Anger 37/38). Weiteres unter www.rosalux.de.
Dr. Mario Candeias ist Co-Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der RLS.
Alle Zitate, so nicht anders angegeben, sind dem Heft »Energiekämpfe« der Zeitschrift LuXemburg (1/2012) entnommen.
Siehe auch: Zum Auftakt ein Aufruf: Lasst uns über Alternativen reden
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