»Leihgurken«
Die IG Metall bringt ihr »Schwarzbuch Leiharbeit« heraus
»Leiharbeit hat Namen und Gesicht«, sagte IG-Metall-Vize Detlef Wetzel bei der Vorstellung des neuen »Schwarzbuch Leiharbeit«, in dem Betroffene ihre alltägliche Erfahrung schildern. Leiharbeit diene längst nicht mehr zum Abfedern von Produktionsspitzen, sondern sei eine langfristige Personalstrategie und lasse Arbeit zur Ramschware verkommen, so Wetzel. Das Druckwerk stützt sich auf Interviews mit über 1000 Befragten, die zur wachsenden Zahl gewerkschaftlich organisierter Leiharbeiter gehören. Mittlerweile seien bundesweit über eine Million Leiharbeitnehmer im Einsatz, doppelt so viel Beschäftigte wie in der Automobilindustrie, so Wetzel.
»Ich habe mein Gesicht verloren«, zitiert das Schwarzbuch einen Leiharbeiter, der für qualifizierte Arbeit im erlernten Beruf mit 7,72 Euro Stundenlohn abgespeist wird. Davon könne er keine Familie ernähren. »Sie glauben gar nicht, wie weh es tut, wenn man vorher als Mitarbeiter im selben Betrieb gearbeitet hat, und nun schon über 18 Monate die gleiche Arbeit für die Hälfte weniger Lohn macht«, stellt ein anderer fest. Der von den Schöpfern der »Arbeitsmarktreformen« einst prognostizierte »Klebeeffekt«, der Leiharbeitern bei guter Leistung die ersehnte Festanstellung in der Kernbelegschaft bringen soll, sieht im Alltag anders aus, denn die meisten bleiben auf Dauer in prekären Arbeitsverhältnissen hängen. »Ich bin jetzt fünfeinhalb Jahre bei der Firma und hatte keine einzige Fehlschicht. Die ›Probezeit‹ muss doch mal ein Ende haben«, klagt ein Betroffener. Andere beklagen fehlende Menschenwürde, berufliche Perspektivlosigkeit und drohende Altersarmut. Manche fühlen sich wie »Leihgurken« oder »ein Stück Fleisch«. Es gehe nicht um Auftragsspitzen oder Ausgleich für Ausfälle, sondern darum, »sich auf legale Art mit den billigsten Mitteln die Taschen vollzustopfen«, sagt die gelernte Bürokauffrau Ute: »Das ist Ausbeutung und menschenunwürdig.«
Wie mühselig der betriebliche Kampf um Besservereinbarungen für Leiharbeiter ist, verdeutlichte Jens Köhler, Betriebsratsvorsitzender im Leipziger BMW-Werk. 2008 hatte der BMW-Gesamtbetriebsrat erreicht, dass der Konzern nur noch mit Leiharbeitsfirmen kooperiert, die ihren Beschäftigten den Grundlohn der Metallbranche zahlen. Damit erhalten Leiharbeiter in Leipzig statt ursprünglich 6,40 Euro nun gut 12 Euro Stundenlohn. Diese Verteuerung habe jedoch den Anteil der Leiharbeiter nicht verringert. Der Betriebsrat habe daher Ende 2011 »die Reißleine gezogen und die Zustimmung zur Beschäftigung der meisten Leiharbeiter für 2012 verweigert«, so Köhler: »Die Zustimmung muss sich BMW vom Arbeitsgericht holen«. Der Gewerkschafter rechnet damit, dass es demnächst eine Vereinbarung mit BMW über die Begrenzung von Leiharbeit geben werde.
Um die zunehmend regulierte Leiharbeit zu unterbieten, setzt das Leipziger BMW-Management auf den Einsatz von Fremdfirmen über Werkverträge. Von rund 6000 Beschäftigten im Betrieb gehörten 2700 zur Stammbelegschaft, 1100 zu Leihfirmen und über 2200 zu Werkvertragsfirmen, so Köhler. Somit gebe es in einem Betrieb mindestens vier Klassen: BMW-Stammbelegschaft, BMW-Leiharbeiter, Werkvertragsstammbeschäftigte und Werkvertragsleiharbeiter.
»Die Verrohung der Sitten am Arbeitsmarkt muss aufhören. Sonst ist bei BMW bald alles außer dem Vorstandsvorsitzenden outgesourct«, so Wetzel.
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