Myanmar - Wende oder Aprilscherz?
Bei Nachwahlen wird ein Triumph von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi erwartet
Den japanischen Touristen fällt die Entscheidung schwer: Soll es das knallrote T-Shirt mit dem gelben kämpfenden Pfau sein oder doch lieber das mit dem Porträt Aung San Suu Kyis? Schön sind auch die Kaffeebecher mit den Konterfeis der »Lady« und Hillary Clintons. Gemeinsam sind die beiden Frauen »The Greatest«, verkündet ein fetter Schriftzug auf dem Becher.
Die Aung-San-Suu-Kyi-Devotionalien auf dem Grabbeltisch im Parterre des schäbig anmutenden Hauptquartiers der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) in Yangon (Rangun) sind Souvenirs für Touristen, Politreisende und Journalisten, die seit Hillary Clintons Besuch im vergangenen Dezember in Massen ins lange isolierte Goldene Land strömen.
Die Fanartikel sind aber auch für den Wahlkampf bestimmt. Am 1. April sind in 48 Wahlkreisen Nachwahlen zum Parlament angesetzt. Allerdings wurde der Urnengang in drei Wahlkreisen des Kachin-Staats im Norden des Landes, wo sich Myanmars Armee immer noch Kämpfe mit der Unabhängigkeitsarmee der Kachin (KIA) liefert, aus »Sicherheitsgründen« verschoben.
Wie ein buddhistisches Mantra wiederholt Präsident Thein Sein: Diese Wahlen werden frei, fair und transparent sein. Als Beweis dienen ihm die Zulassung der NLD und ihrer Vorsitzenden Aung San Suu Kyi sowie die Einladung internationaler Beobachter. Mehr als sechs Millionen Staatsbürger sind aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Erwartet wird, dass die Liga einen klaren Sieg erringt und dass die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi ein Mandat erringt. Ihre Liga hatte sich an den Parlamentswahlen im November 2010 nicht beteiligt. Sie wollte ihre Chefin - die damals noch als rechtskräftig verurteilt galt - nicht ausschließen und verlor deshalb ihren Status als Partei. Die derzeitige Opposition im Parlament bilden nur eine Abspaltung der Liga und einige Parteien ethnischer Minderheiten.
Einen erstaunlichen Partner findet Präsident Thein Sein, in Generalsuniform einst Premierminister der Militärregierung, in Hantha Myints. Der NLD-Sekretär residiert in einem dunklen, mit Akten, Plakaten und Büroutensilien vollgestopften Raum im ersten Stock der NLD-Zentrale. »Wir vertrauen dem Präsidenten«, sagt der Vertraute Aung San Suu Kyis.
Die Harmonie zwischen NLD und der seit einem Jahr amtierenden zivilen Regierung ist Realität. Sie ist aber auch trügerisch. Immer wieder wird der Wahlkampf der NLD behindert. Wie in Hlegu, 45 Kilometer nördlich von Yangon. Nach dem Meer von knallroten Plakaten zu urteilen, ist Hlegu eine NLD-Hochburg. Vielleicht deshalb hatten die örtlichen Behörden im Februar zunächst eine Veranstaltung mit Aung San Suu Kyi sabotiert, indem sie ihr die Benutzung eines Sportplatzes verweigerten. »Sie legen uns Steine in den Weg, wo sie können. Erst wenn sie Anweisung von ganz oben bekommen, geben sie nach«, klagt Maung Maung, ein NLD-Funktionär.
Wahr ist: Die Regierung unter Thein Sein besteht nicht aus lauter Reformenthusiasten. Örtliche Behörden wissen nicht, woran sie sind: Setzt sich Thein Sein durch? Gewinnen die Falken im Militär wieder die Oberhand? Also unternehmen sie lieber nichts oder tun, was bisher bei oppositionellen Umtrieben üblich war: verhindern, einschüchtern, unterdrücken.
So sehr die Mehrheit im Land den frischen Wind, die Rehabilitierung von NLD und Aung San Suu Kyi, die Freilassung von Gefangenen, begrüßt, so misstrauisch bleibt sie doch. »Wir müssen abwarten, ob sie es ernst meinen«, fasst Nay Zaw Aung, ein 30-jähriger Computerfachmann, die Haltung vieler Landsleute zusammen. Radikale Exilgruppen halten die Nachwahl mit Opposition, Beobachtern und internationalen Medien sogar für eine »Scharade«, die veranstaltet wird, um Myanmar von Sanktionen zu befreien. Erst nach dem 1. April wird sich zeigen, ob die Reformen unumkehrbar sind oder sich als Aprilscherz erweisen. nd-Karte: W. Wegener
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