»Ich engagierte Sie nicht als Kohlesack«
Der Schauspieler Martin Wuttke
»Erste Liebe« im Schloss Neuhardenberg
»I found a reason to keep living, Oh and the reason dear, is you ... !« (Ich fand einen Grund am Leben zu bleiben, und der Grund Liebes, bist du!). Gute Herzschmelze aus den 70ern von Velvet Underground. Sie begleitet Martin Wuttke auf die Bühne des Großen Saals im Schloss Neuhardenberg zu Samuel Becketts »Erste Liebe« - dem Theaterstück, das ihn am längsten in seinem Leben begleitet hat. Das erste Mal mit 25 gespielt, forderte sich das Stück ein Umgehen mit dem großen Begriff der Liebe ein, »dessen man sich in unserer Gesellschaft oft genug nur als Soße bedient - wo sie doch einen hohen asozialen Anteil hat und in ihrer Intensität und Ausnahmslosigkeit als große Störung des sozialen Lebens empfunden wird. Aber vielleicht sind diese verstörenden Momente die aufrichtigsten im Leben, weil sie in ihrer natürlichen Ehrlichkeit festgelegte Strukturen aufzulockern vermögen.« So Wuttke.»Peking Opel« am Burgtheater Wien
Er versuchte an der Schule, mit 16 schon, die Denkstrukturen der alten Oberstudienräte, die noch vor dem Krieg ihre Ausbildung genossen, aufzubrechen. Die Vorstellungen dieser Lehrer, wie ein Schüler der 70-er Jahre zu sein habe, stimmten nicht mit diesem provokanten langhaarigen Wuttke, der am liebsten die Musik von Velvet Underground hörte, überein. Er flog von der Schule.
»Es war ein seltsames Klima damals, das viele Missverständnisse produziert hat«, konstatiert Wuttke. 33 Jahre später spielt er eben diese und andere Missverständnisse im Burgtheater Wien in dem Stück von René Pollesch »Peking Opel«, in dem es genau darum geht, dass man verstanden aber nicht gehört wird, in dem die Verzweiflung darüber aufbricht, dass die Repräsentation der Person wichtiger ist, als das, was sie sagt.
»Den fremden Gedanken hören wir nicht, wir regeln ihn auf das herunter, was wir kennen. Und die Mechanik des Theaters sorgt dafür, dass gerade die Inhalte im Milieu verschwinden,dass sie in der Psychologisierung auf Kostüm und Bühnenbild und als Blick auf die Figuren verloren gehen, und das ist nicht nur im Theater so. Wir glauben alle, viel zu sehen, aber wirklich zu sehen, eine materialistische Sicht, das gelingt selten.«
»Hierher kommen andere Menschen als ins Schloss.«
Aufführungen in der Natur, draußen auf dem Flugplatz Neuhardenberg, von denen Martin Wuttke sagt, sie seien seine intensivsten gewesen. Eine seiner schönsten Zeiten: mit den Stücken: »Aufzeichnungen aus dem Kellerloch«, »Solaris« und »Die Perser«, bevor er mit »Zarathustra« in den Park des Schlosses gezogen ist. Hier hatte er die Begegnung mit der Landschaft gesucht und erfüllend auch gefunden. Hier hätte er sich Kontakt zu den hiesigen Leuten gewünscht, auch in der Form, mit ihnen gemeinsam arbeiten zu können, etwa zu Kafkas »Naturtheater von Oklahoma«.
»Es wäre Wahnsinn gewesen«, und er könne sich da draußen an der Oder beides vorstellen: Sowohl Angebote im Schloss und Park Neuhardenberg als auch eine Öffnung für Theaterprojekte am Flugplatz, denn »zum Offizierskasino, zum Hangar kommen andere Leute als in die Schlossanlage.«
Zusammenarbeit mit Einar Schleef
Martin Wuttke ist in einer Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet aufgewachsen, er hat seine Herkunft nicht vergessen. Das mag die Tiefe in seiner Schauspielkunst ausmachen. Das mag ihn verbunden haben mit dem Regisseur Einar Schleef, mit dem er die ersten zehn Jahre als Schauspieler zusammenarbeitete und der in lustigen Momenten der Proben zu ihm sagte: »Martin, Sie sind hier nicht als Schauspieler engagiert, sondern als Kohlesack aus dem Ruhrpott.«
Und er sagte es immer dann, wenn der junge Wuttke sein Spiel so kultivieren wollte, dass ihm die Kantigkeit fehlte - aber wo kein Umriss, da keine Kultur. Einar Schleef stand ihm als Provokateur und Gegner zur Seite, bei ihm konnte er »eine Erziehung genießen, ohne erzogen zu werden.« Bei ihm bekam er im Frühling seiner Schauspiellaufbahn schon in dem Stück: »Mütter« (1986 in Frankfurt am Main) die Frage beantwortet, die als Passage in »Peking Opel« auftaucht: »War das mal anders, dass Leute auf den Inhalt gehört haben?«
Ja, es war mal anders! Die Leute haben in dem gewaltigen Chor die archaischen Kräfte der Mütter gehört, die in ihren Gesängen ihre gefallenen Söhne betrauerten. »Schleef ließ auf der Bühne nur Sachen zu, die auf eine ganz reelle Art und Weise dem Vorgang, dem Ergebnis dienten, die nicht illusionistisch waren, und hat für seine Trauergesänge etwa 50 Frauen, Mütter, Hausfrauen aus aller Herren Länder geholt - es waren unglaublich tolle Proben, die ich als 23-Jähriger miterleben durfte«.
»Ich sagte mir, das machst du erst mal vorläufig.«
»Das Spielen auf der Bühne hat mir immer wahnsinnig Spaß gemacht, aber ich bin vielleicht nicht so ein kultivierter Schauspieler wie andere Kollegen, ich müsste komische Sachen erfinden, um mich unter ihnen zurecht zu finden. Es gibt auch nicht mehr diesen physischen Übermut, es gibt die Erfahrung und die Souveränität, die man sich leisten kann als Werkzeug, nicht als Ruhekissen. Vielleicht bin ich mit meinem Schauspiel deshalb so erfolgreich, weil ich es nicht ins Zentrum meiner Ziele gesetzt habe, anfänglich jedenfalls nicht. Ich wollte in Rom an die Filmhochschule wegen der neorealistischen Filme: Visconti, Rossellini, Pasolini, das unmittelbare Kino der Nachkriegszeit, aber ich war mit 16 Jahren noch zu jung. Eine Freundin überredete mich, die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule in Bochum zu machen, weil sie selbst gern Schauspielerin geworden wäre. Mich hat man genommen, sie ist eine hervorragende Malerin geworden.
So ist mein Schauspielleben eher einem Zufall zu verdanken, und es sollte auch nur vorübergehend sein. Aber irgendwann realisierte ich, dass es mehr Anstrengung kostet, etwas anderes anzufangen, als dabei zu bleiben. Jetzt, nach so vielen Jahren denke ich: Na, so richtig ausgesucht hast du dir das nicht! Das ist schon seltsam.«
»Tatorte«-Special zu Ostern
»Da ist doch ein großes Bedauern in mir, dass es mit der Filmhochschule nicht geklappt hat, denn der Film bewegt mich noch immer ungeheuer, nicht unbedingt als Schauspieler, eher als Filmemacher.«
Im Leipziger »Tatort« steht er aber vorerst noch als Hauptkommissar Andreas Keppler vor der Kamera, Ostern werden er und Simone Thomalla als Hauptkommissarin von ihren Kölner Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) in »Kinderland« tatkräftig unterstützt. Das lässt sich das Leipziger Ermittlerduo nicht nehmen und revanchiert sich prompt in Köln im »Ihr Kinderlein kommet« - vier Kommissare lösen zwei Fälle in zwei Städten. MDR und ARD drehen zum ersten Mal den Tatort in zwei Folgen.
»Ich bin in meinem Leben nicht mehr auf alles neugierig, darüber bin ich auch etwas stolz. Jetzt weiß ich, dass mich bestimmte Dinge nicht interessieren. Für mich ist es eine Verpflichtung, allen und jedem neugierig gegenüber zu stehen, aber das bedeutet nicht, dass ich zugeben kann: Das will ich auch - dafür habe ich nicht mehr die Offenheit, wohl aber dafür, die eigenen Wünsche und Grenzen zu respektieren.«
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