Politik im Morgengrauen

Sachsen-Anhalts Regierungschef wirbt im Südwesten um Rückkehrer - in ein Niedriglohnland

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Sachsen-Anhalts Regierungschef preist in Stuttgart sein Heimatland, um Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Werben reicht nicht, sagen Kritiker: Die Löhne müssen steigen.

Es ist 6:39 Uhr, ganz Deutschland liegt noch in den Federn. Ganz Deutschland? Nein. In einem Bundesland im Osten gehen die Menschen ausgeschlafen ans Tagwerk. Es ist Sachsen-Anhalt, das »Land der Frühaufsteher«. Das Land, dessen Bürger einer Statistik zufolge neun Minuten früher aus dem Bett hüpfen als alle anderen.

Heute freilich war auch in Stuttgart Frühaufstehen angesagt - ausgerechnet für eine Berufsgruppe, die darin nicht geübt ist: Journalisten. Für exakt 6:39 Uhr hatten die Regierungschefs von Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg, Reiner Haseloff und Winfried Kretschmann, zum Pressefrühstück geladen. Der CDU-Politiker und sein grüner Kollege lockten die Presse mit »extra starkem Kaffee«.

Vor Monaten saßen Magdeburger und Stuttgarter Regierende nicht beim gemeinsamen PR-Frühstück, sondern spuckten sich gewissermaßen gegenseitig in die Suppe. Weil Sachsen-Anhalt seine »Frühaufsteher«-Plakate im Südwesten geklebt und damit für den Umzug geworben hatte, holte man zum verbalen Gegenschlag aus. In Sachsen-Anhalt werde zwar früher aufgestanden, räumte man in Stuttgart ein. »Bei uns«, stichelten die Baden-Württemberger, »bleibt dafür aber niemand sitzen.«

Das saß - zumindest bei den Verfechtern der 2005 gestarteten Kampagne, zu denen vor allem die Magdeburger Staatskanzlei gehört. Dort gab man sich entsprechend pikiert. Andere sahen sich in ihrem Unmut über die Werbestrategie bestätigt. SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn hatte vor längerem eingeräumt, den Slogan zu hassen; Wulf Gallert, Chef der Landtags-LINKEN, bezeichnete die Kampagne einmal als »Unsinn«. Sie wurde dennoch gerade eben um zwei Jahre verlängert.

Mit dem heutigen Frühstück werden die diplomatischen Beziehungen nun gewissermaßen offiziell wieder gerade gerückt - auch wenn die Baden-Württemberger Haseloffs Visite mit zwiespältigen Gefühlen beobachten dürften. Der CDU-Politiker nutzt den Besuch schließlich, um weiter ungeniert Abwerbung zu betreiben. Gestern traf er sich in einem Stuttgarter Lokal mit im »Exil« arbeitenden Sachsen-Anhaltern. Es ist kein wirkliches Geheimnis, dass er am liebsten einige mit nach Hause nähme.

Aus Sachsen-Anhalts Sicht ist das verständlich: Die Bevölkerung des Landes soll Prognosen zufolge bis 2025 um ein Fünftel schrumpfen. Derzeit gibt es 2,3 Millionen Einwohner, 2025 dürften es 1,94 Millionen sein. Selbst dafür müsste aber die Abwanderung reduziert und für Zuwanderung gesorgt werden. 2008 gingen 18 566 Menschen mehr aus dem Land weg, als zuzogen, bis 2015 soll die Zahl auf 7100 gesunken sein. Also wirbt Haseloff um Zuzügler. Kürzlich nannte er die »Steigerung der Landesidentität« als wichtige Aufgabe der Regierung: Man müsse das Gefühl stärken, »in Sachsen-Anhalt eine Heimat zu haben«. Dazu bleibe, räumt er ein, »noch viel zu tun«.

Nicht alles liegt aber in seiner Hand, und deswegen gibt es prominente Kritik an Haseloffs Werbe- und Rückholaktionen. Amtsvorgänger Wolfgang Böhmer (CDU) erklärte, das sei Aufgabe von Unternehmen und Arbeitsverwaltung. Als Ministerpräsident, fügte er hinzu, »können sie den Leuten ja nicht eine bestimmte Tarifhöhe versprechen«.

Damit nennt der CDU-Mann den Hauptgrund für die Abwanderung: niedrige Löhne. Eine DGB-Studie bestätigte gerade, dass in Sachsen-Anhalt weniger gezahlt wird als im Ost-Durchschnitt und auch gut ausgebildete Fachleute oft sehr niedrige Löhne erhalten. Schon lange wird gestichelt, dass die Sachsen-Anhalter früh aufstehen, um zu ihren Arbeitsstellen im Westen fahren zu können. Ihr eigenes Land bleibe ein Niedriglohnland, klagt LINKE-Fraktionschef Gallert und wünscht, dass »dem Ministerpräsidenten bewusst wird, wie wenig sinnvoll seine so genannten Rückholaktionen sind«.

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