Bühne oder Pranger?

MEDIENgedanken: Berichterstattung in Norwegen über den Breivik-Prozes

  • André Anwar, Oslo
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Berichterstattung zum Prozess gegen Anders Behring Breivik ging am Mittwoch in den dritten Tag. Wahrscheinlich darf der wegen 77-fachen Mordes angeklagte Norweger noch bis einschließlich Montag über sein Leben, seine Ansichten und Beweggründe referieren. In den drei ersten Prozesstagen änderten sich die Überschriften in den norwegischen Medien zunehmend. Aus dem »Monster von Utöya« wurde in wenigen Prozesstagen die flockigen »Breiviks Stunde« und »Zirkus Breivik«.

Die massive Berichterstattung gerät allerdings zunehmend in die Kritik. Gestritten wird, ob damit der Rechtsstaat verteidigt oder nur Breiviks Propaganda weitergegeben wird. Das Land ist gespalten. Die äußerst seriöse »Aftenposten« warnt bereits. Der Prozess am Osloer Amtsgericht drohe immer mehr zur Selbstdarstellung eines Massenmörders zu werden. Tatsächlich hat Breivik, der gerne in der Welt der Computer-Kriegsspiele zu denken scheint, den Prozess als »Level 3« in seinem Kampf um die »Entislamisierung« Europas klassifiziert. Das sei ihm bislang geglückt, meint »Aftenposten«. Breivik durfte alleine am Dienstag 70 Minuten lang - trotz fünf Abbruchversuchen der unsicher wirkenden Richterin - seinen gut vorbereiteten Propagandaaufsatz vorlesen und sich als psychisch gesunden, rechtsextremen Intellektuellen darstellen. »Das Problem ist, dass unsere Medien und Breivik das gleiche Interesse haben. Sie wollen schockieren«, sagt Björn Stärk von »Aftenposten«. Die Medien müssten ihre Zeitungsseiten und Sendezeiten füllen. Breivik stünde willig dazu bereit. Viele norwegische Medien erlagen zudem der Versuchung, dem Prozess eine politische Dimension zu geben, so die Kritik. »Sie vergessen dabei, dass es sich um einen psychisch Kranken handelt. Denn beide Gutachten kommen zum Ergebnis, dass Breivik psychisch krank ist. Auch wenn nur das eine Gutachten von Schuldunfähigkeit spricht«, so Stärk.

Tatsächlich geben große norwegische Zeitungen, Internetseiten und Fernsehsender Breiviks Erklärungen jeden Tag detailliert wider. Mit dem Prozess haben diese Thesen eigentlich nichts zu tun, so die Kritiker. Zwar folgt dann manchmal eine Faktenkontrolle, wie in »Dagbladet«. Stimmt es wirklich, dass muslimische Frauen Geburtenmaschinen sind? Die mit Fakten belegte Antwort: nein. Aber welche Leser lesen schon mehr als die dickgedruckten Behauptungen Breiviks?

Auch viele Norweger wie Isabella vom Café am Gericht finden die Detailtreue der Medien abstoßend. »Es ist respektlos gegenüber den Angehörigen der Toten, dass Breivik jetzt so auf ein Podest gehoben wird. Genau das will er ja.« Für sie ist der Rummel zu groß. »Man hätte den Prozess ganz klein machen sollen, nur für Norwegen, und ohne Bild und Ton.«

Doch die Reporter der Boulevardzeitungen verteidigen die Ausführlichkeit. Schließlich sei ganz Norwegen betroffen. Warum sollten nur die wenigen Menschen, die einen Platz im kleinen Gerichtssaal bekommen haben, diesen verfolgen dürfen? Schließlich schreibe der Rechtsstaat öffentliche Prozesse aus gutem Grund vor. Dass Breivik andere zu ähnlich grausamen Taten Anstiften könnte, sei kein Argument, »Wir können doch den Leuten nicht vorschreiben, was sie denken sollen, oder was sie lesen, hören, sehen dürfen oder nicht. Dann wären wir da, wo Breivik die Gesellschaft gerne haben würde. Im Faschismus«, meint ein Reporter einer der größten Boulevardzeitungen unter der Hand. Er habe es satt, als »journalistisches Schwein«, angesehen zu werden, nur weil er seinen Job gut mache.

Breivik kommt im übrigen eher zugute, dass ihm die Fernsehdirektübertragung des gesamten Prozesses verwehrt blieb. Während er es am Dienstag bei seiner Propagandarede tatsächlich schaffte, einen klaren und für Rechtsextreme wohl anziehenden Eindruck zu machen, wirkte er am Mittwoch wie ein unsicheres Kind, das versuchte, eine Lügenwelt über vermeintliche Terrornetzwerke aufrecht zu erhalten. Völlig ohne Ausstrahlung, fast lächerlich, wirkte er da auf der Anklagebank, völlig ohne Selbstvertrauen.

Zu den Kritikern des Übertragungsverbotes gehört etwa Jan Arsäter, Nachrichtenchef beim großen norwegischen Privatsender TV2. Diejenigen, die der Nation das unzensierte Anschauen des Prozesses durch Verbote unmöglich gemacht haben, würden eine große Verantwortung tragen, sagt er. Auch der bekannte norwegische Journalist und Schriftsteller Hans Petter Sjöli sagt: »Das Fernsehverbot ist ein Skandal. Ich fordere das Gericht auf, sich hier umzuentscheiden.« Darauf deutet bislang nichts hin.

Der Autor ist Journalist und berichtet für verschiedene Medien aus den skandinavischen Ländern.

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