Obama macht Wahlkampf mit Bin Laden
Vor einem Jahr wurde der Al-Qaida-Chef von einem US-Spezialkommando in Pakistan getötet
»Situation Room« nachts am 2. Mai 2011: Präsident Barack Obama beobachtet zusammen mit seinen engsten Beratern und Ministern auf einem Bildschirm in Echtzeit, wie Navy-Seals-Einheiten das Haus von Osama bin Laden in Pakistan stürmen. Das Foto mit Außenministerin Hillary Clinton, die fassungslos die Hand vor dem Mund hält, ging um die Welt. Es gilt ein Jahr nach dem Tod Bin Ladens als Sinnbild für die »menschlichen USA« im Antiterrorkrieg.
In demselben Lagezentrum im Weißen Haus gab Obama dem Sender NBC jetzt ein Interview, das heute Abend ausgestrahlt wird. Darin lässt er vor den TV-Zuschauern Schlüsselmomente des Einsatzes im pakistanischen Abottabad wie in Washington selbst Revue passieren. Es ist das Kernstück der medialen Inszenierung, die das Weiße Haus um den Jahrestag veranstaltet: ein Jahr nach dem Tod des Al-Qaida-Führers bedeutet für Obama und seine Strategen vor allem sechs Monate vor den nächsten Präsidentschaftswahlen.
Seit mehreren Tagen gehen »menschelnde« Geschichten durch die Presse, die die Obama-Wahlkämpfer mit Wohlwollen sehen - von psychoanalytischen Erklärungen von Hillary Clintons Schrecksekunde über die Farbwahl der Krawatte des damaligen Pentagonchefs Robert Gates bis hin zu ausführlichen Spekulationen über die Einsamkeit des Mannes an der Spitze und wie Präsident Obama mit sich gehadert haben müsse, ob er dem riskanten Einsatz zustimmen sollte.
Wie man das Ende Bin Ladens in Stimmen ummünzen will, zeigte sich auch, als dieser Tage ein Internetvideo veröffentlicht wurde, in dem der Ex-Präsident Bill Clinton eine Lobrede auf Obamas Entschlusskraft hält. »Er musste entscheiden, und dafür wird ein Präsident angestellt.« Das Video wirft schließlich die Frage auf, ob Obama-Widersacher Mitt Romney ebenso entschieden hätte, und zitiert den Republikaner mit einer Aussage von vor vier Jahren: »Es lohnt sich nicht, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen und Milliarden von Dollar auszugeben, nur um eine Person zu fangen.«
Der damit schwer getroffene Romney und sein Team konterten, Obama versuche, die Nation zu spalten und den Tod des Terroristen zu »politisieren«. Umfragen zufolge tendieren derzeit unentschiedene Wähler in Sachen Außenpolitik zu Obama.
Eine Mehrzahl der Gesamtwählerschaft bescheinigt Obama zudem außergewöhnlich hohe Kompetenz bei der nationalen Sicherheit - ein Thema, bei dem die Demokraten normalerweise den Republikanern unterliegen.
Die in Wahlkampfrhetorik und -polemik verpackten Antiterror- und Schattenkriege der Obama-Regierung lassen in den Mainstreammedien nur selten tiefgründige Kritik aufblitzen. Eine der wenigen Ausnahmen war der Buchautor Peter Bergen, der in der »New York Times« schrieb, Obama entpuppe sich als »einer der militärisch aggressivsten amerikanischen Präsidenten seit Jahrzehnten«.
Bergen nannte die Ermordung des größten Teils der Al-Qaida-Führung, die See- und Luftangriffe auf Libyen, die Drohnenangriffe in Pakistan, Schattenkriege in Jemen und in Somalia sowie die Verdreifachung US-amerikanischer Truppen in Afghanistan. Die rechte Opposition wie die linksliberale würden die Politik des USA-Präsidenten verkennen. Er demonstriere »wieder und wieder, dass er Gewalt anzuwenden bereit ist«, so Bergen. Aber keine Seite betrachte ihn »als das, was er ist: ein Kriegspräsident«.
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