Mobilitätsarmut in Rot-Grün
SPD und Ökopartei wollen kein bezahlbares ÖPNV-Sozialticket
Die fehlende Mehrheit für den Haushalt hatte die sofortige Auflösung des Landtages und die kommenden Neuwahlen zur Folge. Ob das ein Betriebsunfall war oder rot-grünes Ziel, darüber streiten die Gelehrten noch. Jedenfalls, so rechnet LINKE-Landessprecher Hubertus Zdebel vor, hätte ein 15-Euro-Ticket in diesem Jahr Mehrkosten von lediglich 35 Millionen Euro erzeugt, während die Neuwahl den Steuerzahler nun 45 Millionen Euro koste.
Die 35 Millionen Euro wären gut angelegt. »Seit Hartz IV bedeutet Arbeitslosigkeit für die meisten Betroffenen ein Leben in oder am Rande der Armut. Das ist gerade im Ruhrgebiet an allen Ecken zu spüren«, sagt Heiko Holtgrave vom Bündnis der Sozialticket-Initiativen im Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR). Armut bedeute ständige Einschränkung, unter anderem auch hinsichtlich der Mobilität.
Zwar habe die rot-grüne Landesregierung auf Druck der Betroffenen und gegen Widerstand zahlreicher SPD-Kommunalpolitiker ein Förderprogramm aufgelegt, das die Einführung von Sozialtarifen im ÖPNV unterstütze. Doch ein zum 1. November 2011 als Pilotprojekt eingeführtes VRR-»Sozialticket« verdient aus Holtgraves Sicht den Namen nicht. Es sei zu teuer und habe eine zu kurze Reichweite. Zudem ist der diskriminierende Aufdruck »Sozialticket« auf der Plastikkarte. »Ein Alibiangebot, zum Scheitern verurteilt.« Entsprechend niedrig sei die Zahl der Nutzer. 850 000 Menschen könnten das Sozialticket beantragen – Hartz-IV-Betroffene, Asylbewerber, Geringverdienende und Hartz-IV-Aufstocker sowie Menschen, die eine schmale Rente beziehen. Doch nur 4,2 Prozent der Berechtigten, so rechnet Holtgrave vor, gönnen sich das Pseudo-»Sozialticket«.
Für Holtgrave, der für das Institut für soziale und ökologische Planung »Akoplan« arbeitet, ist das kein Wunder: Das rot-grüne »Sozialticket« koste immerhin 29,90 Euro im Monat. Im Hartz-IV-Regelsatz sind jedoch lediglich 18,41 Euro für Mobilität vorgesehen. »Da besteht eine Differenz von 11,50 Euro. Sollen sich Hartz-IV-Empfänger die 11,50 Euro vom Munde absparen, um wenigstens im eigenen Stadtgebiet mobil zu sein?«
Die Sozialticket-Initiativen lassen nicht locker: Mit Aktionen, Diskussionen und Stellungnahmen tragen sie ihre Forderung nach einem bezahlbaren Ticket immer wieder in die Öffentlichkeit. Auch für die Linkspartei bleibt das Sozialticket eine von vier zentralen Wahlkampfforderungen.
Der Artikel ist Bestandteil einer Wahlbeilage zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Inhalt der Beilage wird u.a. sein:
»50 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen« - LINKE-Wahlkampfleiter Hubertus Zdebel über Chancen im Endspurt
Der Soli Ost als Sündenbock - Viele schräge Töne hört man beim Wahlkampfhit Kommunalfinanzen
Faktisch regiert der Rotstift - Zwei Jahre rot-grüne Minderheitsregierung –
eine Bilanz
Hauptsache: Internet! - Die Piraten beeinflussen der Wahlkampf der Altparteien
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.