»Klippan« und die Stasi-Industrie
Häftlinge in der DDR produzierten für IKEA - das System der Gefangenen-Ausbeutung hat die DDR überdauert
Nein, der Text stammt nicht aus der SVT-Dokumentation. Das Zitat ist aus einem Beitrag des WDR-Magazins »Markt«, der am 1. August 2011 gesendet wurde. Und da war nicht zum ersten Mal über diese »delikaten« Aspekte der IKEA-Möbelproduktion in der DDR gesprochen worden.
Was ist dem schwedischen Konzern anzulasten? Nicht IKEA habe Häftlingsarbeit verlangt, sagt Herbert Kornetsky, dereinst Chef im Möbelkombinat Dresden-Hellerau. Und: Man habe den Gefangenen »etwas Gutes getan, denn sie wurden ja bezahlt«.
SVT konnte Bekanntem kaum Neues hinzufügen. Aber: »Retro« ist in, die Stasi-Industrie weiß, wie man mediale Ladenhüter neu auf den Markt bringen. In dem Beitrag blätterten einstige DDR-Möbelmänner in einem IKEA-Katalog, bleiben bei einem zweisitzigen Sofa hängen, einer sagte: »›Klippan‹, das haben wir in Waldheim gemacht. Ein absolutes Erfolgsmodell in der Geschichte von IKEA.«
Stimmt, man bekommt es noch immer zwischen 179 und 499 Euro zu kaufen. Dann erläutert ein ehemaliger Aufseher, dass für ihn alle Gefangenen kriminell waren, weil sie gegen das Strafgesetzbuch der DDR verstoßen haben. Er schränkt ein, dass man »aus heutiger Sicht« manches als »politisch motivierte Straftaten, Republikflucht und so weiter« betrachtet. In seinem Bereich seien die Gefangenen »gemischt untergebracht« gewesen.
Bereits 1984 war IKEA-Gründer Ingvar Kamprad vom »Aftonbladet« auf das Thema Häftlingsarbeit angesprochen worden und hatte Unkenntnis preisgegeben. Natürlich kam das Thema damals nicht so recht in die Schlagzeilen. IKEA hatte ein Interesse, billig zu produzieren, die DDR-Wirtschaft wollte Devisen erwirtschaften, die Regierungen pflegten gute Beziehungen über die Ostsee hinweg.
Und nach dem Fall der Mauer? Da stand das Thema bei politisch Verantwortlichen nicht obenan, sonst wäre allzu vieles auf die Liste gekommen. Wenn in Westberlin die Kachelöfen wohlige Wärme abgaben, war das auch DDR-Strafgefangenen zu danken, die in Tagebauen Schwerstarbeit verrichteten. Auch in der DDR-Textilindustrie, die ganze Produktionsstrecken nur für die Bundesrepublik laufen ließ, arbeiteten Gefangene. Näherinnen in Hoheneck beispielsweise, die Bettwäsche für westdeutsche Kaufhäuser herstellten, arbeiteten sechs Tage pro Woche im Drei-Schicht-System. Der auftraggebende DDR-Betrieb orientierte sich am Lohn für »Ungelernte« und zahlte an die Haftanstalt pro Kopf einen Monatslohn von 383 DDR-Mark. 40 Mark davon bleiben bei den Gefangenen.
Die heutige Thüringer-Stasi-Unterlagenchefin Hildigund Neubert hatte 2003 mit dem Bürgerrechtler Uwe Bastian die Studie »Schamlos ausgebeutet - Das System der Haftzwangsarbeit politischer Gefangener des SED-Staates« vorgelegt. Dazu haben sie 361 ehemalige Häftlinge befragt. Ausgehend von den Arbeitsbedingungen rechnen sie die DDR-Gefangenenarbeit der 1957 von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO verbotenen Zwangsarbeit zu. Das Abkommen war von der DDR nie unterzeichnet worden.
Auch heute - unter politisch wie rechtlich völlig anderen Bedingungen - wäre die Ausbeutung von Gefangenen in Deutschland ein Thema, das Beachtung verdient. Strafgefangene sind zur Arbeit verpflichtet und Vollzugsanstalten werben mit Vorteilen ihrer Arbeit: Die Löhne bewegen sich auf »Heimarbeiterniveau«, Arbeitskräfte sind immer präsent, es gibt keinen »Ausfall z.B. durch Urlaub«, man sei in Spitzenzeiten »flexibel«, die Lohnnebenkosten werden von der Justiz getragen. Ergo: Gefangenenarbeit macht die Verlagerung in Billiglohnländer unnötig. Nach dem Ende der DDR zog IKEA übrigens weiter - unter anderem nach Birma und Belarus.
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