»Finanzspritze für die Energiekonzerne«
Hamburger SPD setzt Minderheitsbeteiligung an den Netzen von Vattenfall und E.ON Hanse durch
Kurz bevor die Parlamentarier im Rathaus zusammenkamen, fiel in zwei Hamburger Stadtteilen der Strom aus. Über 1400 Haushalte und einige Ampelkreuzungen waren ohne Elektrizität. In gewisser Weise war die Panne treffend: Stromversorgung ist ein wichtiges Thema, gerade in Hamburg. In Zukunft soll die Stadt nach Auslauf der Konzessionsverträge Ende 2014 wieder mit 25,1 Prozent an den Energienetzen von Vattenfall (Strom und Wärme) und E.ON Hanse (Gasnetz) beteiligt sein. Das beschloss die SPD-Regierungsmehrheit vorgestern in zweiter Lesung gegen die Opposition. »Es fehlt an Transparenz und an Risikoabwägung für Verträge, die immerhin 20 Jahre dauern«, kritisierte die LINKE-Fraktionschefin Dora Heyenn in der Bürgerschaft. »SPD und Senat nehmen die Bedenken, die überall geäußert werden, nicht ernst und wollen die Verträge durchpeitschen.«
Nach der ersten Lesung am 18. April war es zu einem oppositionellen Schulterschluss gegen die allein regierende SPD gekommen. CDU, Grüne, FDP und LINKE kritisierten in einer gemeinsamen Erklärung, dass der Senat bereits Fakten schaffe und den Rückkauf zu eigenen Vorstellungen einleite. »Die Opposition ist sich einig, dass Bürgermeister Olaf Scholz die Verträge miserabel verhandelt hat und sich dem Diktat der Konzerne unterwirft«, erklärte Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan damals. Die Parteien stellten ein Aktenvorlageersuchen und forderten auf Initiative der LINKEN eine Untersuchung der Verträge durch den Rechnungshof. »Die Bedenken, dass die Verträge mit E.ON Hanse und Vattenfall die Stadt teuer zu stehen kommen, verstärken sich«, warnte Heyenn.
Die SPD blockierte jedoch alle Bemühungen, die Entscheidung zu vertagen. Am Mittwoch um 22.18 Uhr stand die notwendige Bürgermeistermehrheit für das Vorhaben, das die Stadt, abhängig von Nachwertungsklauseln, zwischen 543 und 607 Millionen Euro kostet. »Wir haben einen vernünftigen und finanziell vertretbaren Weg gewählt, der das Risiko begrenzt und zugleich der Energiewende einen großen Schub gibt«, verteidigte SPD-Haushaltssprecher Jan Quast die Entscheidung. Ein Konfrontationskurs gegenüber den Unternehmen hätte zu Prozessen und entsprechendem Zeitverlust geführt.
Die städtische Minderheitsbeteiligung sei nichts anderes als eine »Finanzspritze für die Energiekonzerne und eine Absicherung ihrer Monopolstellung«, verurteilte dagegen Heyenn den »dubiosen Deal«. Kerstan bezeichnete die Verträge als »Rettungsschirm für notleidende Atomkonzerne«: »Schwere Bedenken der eigenen Verwaltung und den Rat von Experten und Gutachtern hat Olaf Scholz genauso beiseite gewischt wie das Votum von 116 000 Bürgerinnen und Bürgern.« So viele Unterschriften hatte die Volksinitiative »Unser Hamburg - unser Netz« im Juni 2011 gesammelt. Ihr von LINKEN und Grünen unterstütztes Ziel ist die vollständige städtische Rückübernahme der Energieversorgung. Sie strebt einen Volksentscheid zeitgleich mit der Bundestagswahl im September 2013 an. »Mit der 100-Prozent-Variante würden wir ein wirtschaftliches Risiko eingehen, das wir als Stadt nicht tragen können«, entgegnete SPD-Finanzsenator Peter Tschenscher.
Die CDU kritisierte generell staatliches Engagement im Energiebereich. »Der Deal ist ideologisch überhöht, parlamentarisch übereilt und finanziell überteuert«, sagte Vize-Fraktionschef Roland Heintze.
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