Die Gunst der Stunde
Vor dem heutigen Endspiel im DFB-Pokal erklärt Bayern-Trainer Jupp Heynckes den Gegner aus Dortmund zum Favoriten
Jürgen Klopp hatte vor dem DFB-Pokalfinale leichte Orientierungsprobleme. Kein Wunder, es ist sein erstes. »Sind wir schon im Stadion?«, fragte der Dortmunder Trainer. Den Ablauf eines Bundesligaspiels in Berlin hatte er schon häufiger erlebt. Doch heute ist im Berliner Olympiastadion nichts normal, alles ein wenig anders und viel größer. Grün und Gold glänzen Innenraum, Katakomben und Gelände ringsum. Klopp stand vor der zum Medienzentrum ausgebauten Aufwärmhalle - und staunte. Für ihn ist das Pokalfinale »das außergewöhnlichste Fußballspiel in Deutschland«.
Da konnte ihm am Freitag niemand widersprechen. Nicht, weil zur 69. Auflage wieder 75 000 Fans im Stadion sein werden. »Die eine Hälfte von uns, die andere aus Dortmund«, stellte Philipp Lahm fest. »Das ist einzigartig«, benennt der Kapitän des FC Bayern einen Unterschied zum Ligaalltag. Einen weiteren findet BVB-Kapitän Sebastian Kehl im finalen Charakter: »Einer fährt jubelnd, der andere traurig als Verlierer nach Hause.«
All das gehört zum Endspiel. Zu etwas ganz Besonderem wird die Partie in diesem Jahr durch die Kontrahenten. In der Ansetzung Borussia Dortmund gegen den FC Bayern sieht selbst der erfahrene Münchner Trainer Jupp Heynckes »viel Brisanz«. Der alte und neue Meister gegen den Ligazweiten und Champions-League-Finalisten. Vier Spiele in Folge haben die national siegverwöhnten Bayern gegen den BVB verloren. Die Dortmunder rütteln kräftig an der Vormachtstellung des Rekordmeisters. »Die Borussia ist Meister mit einem neuen Punktrekord geworden. Da geht man favorisiert ins Finale«, sagte Heynckes und fügt noch ein »normalerweise« an.
Ganz so schnell lässt sich das bajuwarische Selbstverständnis dann doch nicht erschüttern. Fast beiläufig redet Lahm darüber, man wolle »diesen Titel wieder einfahren«. Dabei blieb der FC Bayern schon in der vergangenen Spielzeit ohne Trophäe. Und immerhin stehen die Münchner ja auch im Finale der europäischen Königsklasse. Aber genau das Spiel in einer Woche gegen Chelsea London, dazu im eigenen Stadion, könnte heute zum Problem werden. »Das bekommt man nicht aus den Köpfen der Spieler«, berichtet Heynckes. Den Einzug ins Finale der Champions League sieht er aber eher als Mutmacher für das Berliner Endspiel.
Die Dortmunder haben nur noch ein Ziel in dieser Saison. »Hell und klar« haben sie es laut Klopp aber die ganze Zeit »am Horizont« gesehen. Dort leuchtet ihnen der goldene Pokal. In seiner 103-jährigen Vereinsgeschichte konnte ihn der BVB schon zweimal gewinnen.
Zwölf Pokalsiege mehr hat der FC Bayern auf der Haben-Seite, achtmal gewann der Verein sogar das Double. Meistertitel und Pokalsieg in einem Jahr - das schaffte Dortmund noch nie, weshalb Klopp mit seinen Spielern »die Gunst der Stunde« unbedingt nutzen will. Und die scheint in der Tat tatsächlich beim BVB zu liegen. Denn wann wurde zuletzt ein nationaler Konkurrent vom FC Bayern in die Favoritenrolle geschoben? Das ist länger her, als das Pokalfinale seit 1985 mit Berlin seinen festen Spielort hat.
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