Auf Distanz zur Realität

Kommentar von Aert van Riel

  • Lesedauer: 3 Min.

Der 98. Katholikentag in Mannheim findet in schwierigen Zeiten statt. Die katholische Kirche ist infolge der Missbrauchsskandale und tausendfacher Austritte in einer schweren Krise. Mit tiefer Besorgnis wird dieser Zustand auch von einigen Bundestags- und Landtagsabgeordneten der Grünen katholischen Glaubens - darunter Gerhard Schick, Josef Winkler und Agnieszka Brugger - gesehen. In einem gemeinsamen Papier fordern sie nun, dass Frauen zu Führungspositionen zugelassen werden und wiederverheiratete Geschiedene am Abendmahl teilnehmen dürfen. Auf den finanzpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, Schick, dürfte der Vorschlag zurückgehen, in Deutschland eine »Kulturabgabe« nach italienischem Vorbild einzuführen. Diese soll verhindern, dass immer mehr Menschen die katholische Kirche verlassen, weil sie nicht mehr die Kirchensteuer zahlen wollen. Die »Kulturabgabe« wäre von allen Bürgern an eine gemeinnützige Institution ihrer Wahl zu entrichten, zu denen neben Vereinen auch kirchliche Hilfswerke zählen. Für die Katholiken würde es somit finanziell keinen Unterschied machen, ob sie in der Kirche bleiben oder nicht. Diese Spende per Gesetz dürfte allerdings in der Bevölkerung wenig populär und damit praktisch kaum umsetzbar sein. Auch in der eigenen Partei machte sich bereits Unverständnis über den Vorschlag der grünen Autoren breit.

Sinnvoll ist es zwar, über Sinn und Zweck der Kirchensteuer zu diskutieren, aber nicht diese Steuer durch eine ähnlich geartete zu ersetzen. Aus säkularen Kreisen wird zurecht kritisiert, dass die derzeitige Praxis, nach der der Staat die Mitgliedsbeiträge für die Kirchen eintreibt, mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Trennung von Staat und Kirche nicht zu vereinbaren ist. Die »Kulturabgabe« würde sogar zu einer noch engeren Verzahnung zwischen der staatlichen Steuerpolitik und der Kirchenfinanzierung führen. Denn bisher unterliegt die Kirchensteuer der kirchlichen Verwaltung, die diese an die Finanzbehörden überträgt und dafür eine Entschädigung für die Verwaltungskosten an die Bundesländer entrichtet. Mit der »Kulturabgabe« würde dagegen eine direkt vom Staat erhobene Steuer den Kirchen zugutekommen.

Außerdem zeugt es von Naivität, wenn man glaubt, dass viele Katholiken vor allem aus finanziellen Gründen aus der Kirche austreten. Vielmehr sind offensichtlich immer weniger Menschen bereit, die mittelalterlich anmutenden Regelungen, wie beispielsweise den Zölibat der Geistlichen oder die Verehrung des Papstes als Heiligen Vater, die der Klerus in ein weitgehend aufgeklärtes Zeitalter hinüberretten konnte, zu akzeptieren. Mit ihrem reaktionären Oberhaupt Joseph Ratzinger, der »mehr Distanz zur Gesellschaft« fordert, sehen zahlreiche katholische Funktionäre die Kirche als Bollwerk eines kulturellen Konservatismus. Dagegen werden sich die Grünen und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken mit ihren zaghaften Forderungen nach Modernisierungen am Rande des Katholikentages kaum durchsetzen können. Allein der Kirchenrettungsplan durch eine »Kulturabgabe« könnte auch bei den Konservativen auf größeres Interesse stoßen.

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