Wider die Folklorisierung des Verbrechens
20 Jahre nach der Ermordung der Mafiajäger Falcone und Borsellino hat Mafia-Literatur Hochkonjunktur
Es ging als Massaker von Capaci in die kollektive Erinnerung der Italiener ein. Vor 20 Jahren wurde Giovanni Falcone ermordet. Er, seine Frau und drei Leibwächter wurden nur wenige Tage nach seinem 53. Geburtstag auf dem Weg zum Wochenendhaus bei Palermo von einer Bombe erfasst. Ihre Autos flogen durch die Luft. Die Wucht der Explosion riss die Straßendecke auf, hinterließ einen riesigen Krater. Ein unvergesslicher Anblick, der heute, am Jahrestag der Ermordung, in vielen wieder aufsteigen wird.
Die Ermordung Falcones, der als Untersuchungsrichter im sogenannten Maxi-Prozess 1986/87 fast 500 Mafiosi vor Gericht brachte, sollte aber längst nicht die letzte Aufsehen erregende Bluttat der sizilianischen Mafia bleiben. Nur knapp zwei Monate später wurde sein langjähriger Partner Paolo Borsellino ebenfalls durch eine Bombe aus dem Leben gerissen, als ein neben ihm geparkter Fiat explodierte.
Wer genau hinter dem Attentat auf die beiden heute so verehrten Mafiajäger steckt, ist noch immer nicht vollständig geklärt. Den Auftrag für die Beseitigung Falcones und Borsellinos soll der damals mit Bernardo Provenzano einflussreichste Mafioso, Salvatore »Totò« Riina, erteilt haben. Seit 1993 sitzt er unter anderem dafür in Haft.
Nach diesen Attentaten hat die zweite große Welle der Bekämpfung der Mafia begonnen. Inzwischen ist es auch nicht mehr nur die sizilianische Cosa Nostra, deren Bluttaten und kriminelle Geschäfte angeprangert werden. Die 'Ndrangheta, die ihr, gemessen an Anhängern und Umsatz,längst den Rang abgelaufen hat, wird zunehmend wahrgenommen.
Mafia-Lektüre erfreut sich wachsender Beliebtheit, nicht nur in Italien. Ständig drängen neue Sachbücher und Krimis auf den Buchmarkt. So ist es wohl auch nicht mehr ungewöhnlich, wenn gleich zwei Bücher aus einem Verlagshaus zeitgleich erscheinen, wie im Fall von »Die Corleones« und »Die Mafia. 100 Fragen - 100 Antworten«. Doch diese Neuerscheinungen haben nur auf den ersten Blick etwas miteinander zu tun.
Kein anderer Film hat das Bild der Mafia in der Öffentlichkeit so stark geprägt wie »Der Pate« (1969). Die Geschichte über den Aufstieg einer Mafia-Familie in den New York hat den Autor der dreiteiligen Kino-Saga, Mario Puzo, und den Regisseur Francis Ford Coppola berühmt und reich gemacht. Selbiges erhofft sich nun wohl Ed Falco. Er hat das bisher unveröffentlichte Drehbuch zu »Die Corleones« aus der Feder von Puzo zu einem Roman vervollständigt. Schon allein das Video, das im Internet für jenes Buch wirbt, das vor zwei Wochen bereits in den USA erschienen und ab heute in weiten Teilen Europas erhältlich ist, strotzt vor Verharmlosung der Mafia: Zwei italienisch sprechende Männer zwingen einen Verlagsmitarbeiter, das Buch herauszurücken.
»Die Corleones« knüpft in seiner romantisch verklärenden Darstellung der Familie nahtlos an seine Vorgänger an. Mythenhaft wird erzählt, wie Sonny, der älteste Sohn von Vito Corleone, im New York 1933 in dessen Fußstapfen zu treten versucht. Für Fans des »Paten« wahrscheinlich ein Muss, ist der Roman für Anti-Mafia-Aktivisten dagegen eine weitere Folklorisierung der kriminellen Aktivitäten.
Nicht minder spannend, aber weit realistischer ist das Buch von Attilio Bolzoni. Auch wenn sich das nach einem Frage-Antwort-Schema strukturierte Buch nicht immer flüssig liest, es bietet einen guten Einblick in die Komplexität des Phänomens Mafia, in die Brutalität und Unmenschlichkeit der organisierten Kriminalität. Ein wesentliches Kapitel ist dem Attentat auf Falcone und dessen Folgen gewidmet. Bolzoni spricht von »Blutbädern mit einem sizilianischen und einem italienischen Auftraggeber« und verweist auf die vermutete Verstrickung von Politik und Geheimdiensten in die Aktivitäten der Mafia. Was fehlt, sind allerdings die internationalen Verflechtungen, die ebenso als erwiesen gelten, wie etwa die in Italien lebende deutsche Autorin Petra Reski berichtet.
Bei den heutigen Gedenkveranstaltungen wird sich eines zeigen: Hinterbliebene von bekannten Mafia-Opfern haben sich nie einschüchtern lassen. Die entscheidende Lehre aus dem Attentat auf Falcone sei, so Bolzoni: »Das Opfer von Einschüchterungen darf nicht allein gelassen werden - das ist die einzig mögliche Antwort auf die Mafia.« Das muss für den zum Helden stilisierten Roberto Saviano gelten und für alle anderen Journalisten, Anwälte und Aktivisten, die täglich neue Verbrechen offen legen.
● Attilio Bolzoni: Die Mafia. 100 Fragen - 100 Antworten. Aus dem Italienischen von Walter Kögler und Rita Seuß. Klett-Cotta. 216 S., brosch., 14,95 €.
● Ed Falco. Die Corleones. Die Vorgeschichte zu Der Pate. Roman nach dem Originaldrehbuch von Mario Puzo. Klett-Cotta. 477 S., geb., 21,95 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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