Große Kluft zwischen Wissen und Handeln
Kongress: Meeresforschung reicht längst noch nicht aus
Die Chefin gab sich als Mahnerin. Mehr Informationen über das Meer seien nötig, bevor über Maßnahmen entschieden werden könne, drängte Monika Breuch-Moritz, Präsidentin des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), vor jenem Kongress, den ihre Behörde seit nunmehr 22 Jahren veranstaltet: Das Hamburger »Meeresumweltsymposium«, zu dem das BSH im Auftrag des Bundesumweltministeriums gemeinsam mit Umweltbundesamt und dem Bundesamt für Naturschutz alljährlich einlädt, widmete sich unter anderem der Umsetzung der EU-Meeresschutz-Rahmenrichtlinie (MSRL). Die verlangt von den Mitgliedsstaaten, ihre Meeresgebiete bis 2020 in einen »guten Zustand« zu versetzen. Nach einem detaillierten Plan sind Zustandserfassung und -bewertung vorzunehmen; anschließend folgen ebenso ausgefeilte Zielbestimmungen sowie Maßnahmenkonzepte zur Zielerreichung.
All dies, da war sich Breuch-Moritz mit den Referentinnen und Referenten zum Thema einig, setzt nicht nur verstärkt forschende Meeresüberwachung, sondern immer aufwendigere Analysemethoden voraus. Die zunehmende Vielfalt und chemische Komplexität der in die Meeresumwelt eingebrachten Stoffe machen dies immer schwieriger. Zugleich soll aber das Streben nach einem »guten Zustand« nicht die ebenso vielfältig zunehmenden Nutzungsansprüche einschränken - schließlich gilt die MSRL zwar als »Umweltsäule« der EU-Meerespolitik; aber das diesen Pfeiler tragende Fundament, das so genannte »Blaubuch«, ist deutlich von knallharten ökonomischen Interessen geprägt. Das »ausgewogene Verhältnis von Nutzung und Schutz«, das Breuch-Moritz eingangs postulierte, halten Meeresumweltschützer denn auch für deutlich unausgewogen.
Die Kluft zwischen Wissen und Handeln werde immer größer, stellte der frühere Chef des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer (CDU), in seinem Begrüßungsreferat fest. Selbstverständlich meint der heutige Exekutivdirektor des Elite-Instituts für Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam das nicht selbstkritisch - war er doch als Umweltminister in den späten 1980ern maßgeblich verantwortlich für den als »Monetarisierung« bekannten Schwenk in der Umweltpolitik. Zwar mahnte Töpfer vor dem BSH-Kongress mehr Anstrengungen im Meeresschutz ebenso an wie Erfolge beim Rio+20-Gipfel - dass der dort aktuelle und viel kritisierte Begriff der »Green Economy« zum Teil auch auf seinen früheren Konzepten fußt, spielte keine Rolle.
Wie sich solche Widersprüche in der Praxis auswirken, zeigte sich beim Thema Offshore-Windkraft: Das BSH hat die Vorgabe der Politik, bis 2030 stolze 30 Gigawatt Leistung auf See zu installieren, umzusetzen. Deshalb werden einerseits massenweise Anträge von Betreibern genehmigt: Bislang haben 26 geplante Windparkprojekte auf der Nordsee und drei auf der Ostsee diesen Stempel erhalten; über hundert weitere Anträge liegen auf dem Tisch.
Andererseits wird erst im Zuge der schleppend beginnenden Installation - Finanzierungs- und In-frastrukturprobleme sind bekannt - die Forschung zur Technikfolgenabschätzung durchgeführt, die eigentlich zwingend vorausgehen müsste. Wie wirken sich Installation und Betrieb der riesigen Rotoren auf die Bodenorganismen aus, wie auf Meeressäuger; Was kann zu ihrem Schutz getan werden; was, um Zugvögel nicht zu »schreddern«? Diese Themen ebenso wie Probleme des Arbeitsschutzes sind nicht erstmals Gegenstand dieser Kongresse, noch immer sind viele Fragen offen, trotzdem wird genehmigt und gebaut. Ob Strom aus Offshore-Windkraft das Prädikat »ökologisch« oder auch nur »umweltverträglich« verdient, bleibt offen.
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