Reparatur statt Mülltonne
Ein Hobbybastler repariert DDR-Handmixer und ein Betriebswirtschaftler erklärt den Leuten, warum Wegwerfen keine Lösung ist
Als Barbara Helbig kürzlich ihren beigefarbenen RG 28 anstellte, gab das Gerät ein letztes ungewöhnliches Geräusch von sich. Dann war Stille. Ein über 30-jähriges Mixerleben schien ausgeröchelt. Unzählige Kuchen hatte die 60-jährige Spreewälderin mit Hilfe des Handküchengerätes aus dem Kombinat VEB Elektrogerätewerk Suhl gebacken, Soßen püriert, Mayonnaise gerührt. Am 25. Februar 1981 im HO Lebensmittel-Industriewaren in der Cottbuser Straße der Jugend 166 für 162,30 Mark gekauft, hatte es die Zeiten, in denen allabendlich der Werbespruch »AKA electric - in jedem Haus zu Hause« über die DDR-Fernsehbildschirme flimmerte, längst hinter sich gelassen.
Darüber war es selbst alt geworden: vergilbt die beigefarbene Hülle aus Weich-PVC, verrostet die Metallteilchen. Aber das Design unterschied sich genau betrachtet nicht wesentlich von dem heutiger Handküchengeräte. Nur hielten diese allen Erfahrungen nach nicht dreißig Jahre. Man hatte immer den Eindruck, dass sie kurz nach dem Ende der Garantiezeit den Weg alles Irdischen gingen.
AKA-Mixer hoch im Kurs
Barbara Helbig schaltete den Computer an. Was sie suchte, wusste sie selbst nicht so recht. Ein Ersatzteil? Einen neuen alten Mixer? Einen ganz neuen »West«mixer? Das Netz bot reiche Auswahl; auch an DDR-Mixern. Offenbar gab es Jahrzehnte nachdem das AKA-electric-Land zu existieren aufgehört hatte, noch viele Menschen, die an den alten Teilen hingen. Auktionen für DDR-Handmixer landeten schnell bei einem Angebot von 90 Euro. Barbara Helbig stieß in einem Forum auf einen Mann, der sich mit Rührgeräten von AKA auskannte. Der Treffer!
Hans-J. Bliesener, ein Mann von kräftiger Statur und offenem Wesen, sitzt in seiner kleinen Küche am westlichen Rand von Berlin und schraubt an einem orangefarbenen RG 28. Was für eine satte Farbe! Bliesener kennt alle DDR-Rührgeräte, die es gab: Combifix, RG von 3 bis 28 in beige, braun und gelb, mit oder ohne Rohkostgerät, Konsolen für die Aufbewahrung, Schlagbecher, Mixbecher, Passierstab, Rührschüssel. Nur das richtige Weiß ist selten in der Familie dieser Küchengeräte. War wahrscheinlich teuer, mutmaßt der 56-jährige Maschineningenieur und Hobbybastler aus Mecklenburg-Vorpommern, der vor vielen Jahren nach Berlin zog.
Blieseners »Sucht« begann vor Jahren mit der harmlosen Frage seiner Frau, ob er sich nicht mal den Mixer anschauen könnte, der ginge auf einmal nicht mehr. Bliesener schaute und schraubte und putzte - plötzlich ging er wieder. Das sprach sich irgendwie herum in der Familie, unter Freunden, bei Nachbarn. Der Mann bekam zu tun und wurde mit den Jahren ein regelrechter Spezialist für die weit verbreiteten robusten Rührgeräte aus der DDR. Und er wurde flohmarktsüchtig, wie er selbst sagt. Er legte sich sich das eine oder andere Ersatzteil in die eine oder andere Schublade - zum Leidwesen seiner Frau, die andere Verwendung für die Schränke hatte, sich aber wiederum auch jedes Mal freute, wenn ein Gerät repariert werden konnte. Kauft man ein neues, ist auch ihre Erfahrung, muss man es oft kurz nach dem Ablauf der Garantie wegwerfen. Kein Zufall, wie Di᠆plom-Betriebswirt Stefan Schridde aus Berlin sagt, sondern Teil einer Unternehmensstrategie, bekannt unter dem Begriff geplante Obsoleszenz (lat. obsolescere, in Vergessenheit geraten, veralten). Man erreicht sie durch den bewussten Einbau von Schwachstellen, Lösungen mit absehbarer Haltbarkeit oder Rohstoffe von schlechter Qualität. Das fängt bei der Glühbirne an und reicht über Föhn und Küchenmaschine bis hin zum Tintenstrahldrucker. Die Konsequenzen kennen wir alle: Hohe Kosten, Berge von Elektroschrott, der im schlimmsten Fall in Afrika landet, und Ressourcenverschwendung.
Apropos Glühbirne. Überliefert ist die Geschichte eines heimlichen Treffens von Glühbirnenherstellern aus aller Welt im Jahre 1924. Auf diesem leiteten die Firmenchefs das vorzeitige Ableben ihrer Helligkeitsspender in die Wege. Die Birnen leuchteten bis zu 2500 Stunden und das war schlecht für das Geschäft. Also beschloss das eigens dafür gegründete Phoebus-Kartell, die Lebensdauer der Glühbirne solle 1000 Stunden nicht überschreiten. Einige Jahrzehnte später flog alles auf, ein Gericht verbot die Absprache, allerdings soll sich an der beschränkten Lebensdauer der Produkte danach nicht allzu viel geändert haben.
Stefan Schridde hat ein Internetforum (www.murks-nein-danke.de) eingerichtet. Hier kann jeder Verbraucher seine persönlichen Ärgernisse mit einzelnen Produkten bekannt machen. Schridde versteht sich als bürgerschaftlich engagierter Schützer von Verbraucherinteressen. »Ich sammle, mache es öffentlich und kläre auf«, sagt der als Coach und Dozent arbeitende Mann.
Neukauf wird empfohlen
Der Begriff Wegwerfgesellschaft soll Schridde zufolge nur davon ablenken, »dass Hersteller nicht mehr bereit sind, über die Langlebigkeit ihrer Produkte nachzudenken«. Viele Menschen in dieser Gesellschaft wären sehr wohl daran interessiert, ihre Geräte reparieren zu lassen. Die Wegwerfproduktion aber hindere sie daran, indem sie beispielsweise Teile so verbaue, dass man sie nicht mehr austauschen kann. So hielten die fest installierten Akkus in elektrischen Zahnbürsten oft nicht lange und sie auszutauschen wäre teurer als eine neue Bürste zu kaufen. Noch dreister mutet schon das Beispiel der Tintenstrahldrucker an, in die der Hersteller einen Chip einbaute. Nach einer gewissen Zahl von Druckvorgängen meldete dieser einen Fehler, den es eigentlich gar nicht gab. Der Besitzer schleppte das Gerät zur Reparatur, wo man ihm meist empfahl, einen neuen Drucker zu kaufen. Gut für die Firma, schlecht für Verbraucher und Umwelt. Das müsste alles gar nicht so sein, sagt Schridde. Haltbarere Teile oder solche, die man leicht entfernen und reparieren kann, kosten in der Regel nicht viel mehr als die mit dem programmierten schnellen Verschleiß. Er sieht Handlungsbedarf im Firmenmanagement, aber auch beim Gesetzgeber - im Gewährleistungsrecht oder bei der Kennzeichnungspflicht für Elektrogeräte - und bereitet eine dementsprechende Bundestagspetition vor.Barbara Helbigs Rührgerät ist wieder funktionstüchtig. Hans-J. Bliesener hat es repariert und gesäubert. Es könne noch viele Jahre gute Dienste leisten, meint er. Auch für den Hobbybastler ist klar, dass technische Geräte heute länger halten könnten, wenn es die Firmen nur wollten. Aber: »Die Wirtschaft funktioniert doch nur so, dass man mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel verdient«. Und das ginge nicht, wenn ein Staubsauger oder Mixer lange hielte oder bei Bedarf einfach ganz gemacht werden könnte. An Staubsaugern hat er sich übrigens auch schon versucht. Nie wieder, sagt Bliesener. Das ist selbst ihm zu kompliziert.
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