Es muss alles GANZ anders werden
Thomas Ebermann über linke Lebenslust
nd: Thomas Ebermann, der Ausstieg eines Menschen aus der Karriere - kann man das lernen? Ist das Natur oder Anstrengung, gar asketische Selbstfolter?
Ebermann: Schwingt in Ihrer Frage die Unterstellung mit, ich sei ausgestiegen?
Ja.
Ein Aussteiger ist ja auch jemand, der sich radikal entpolitisiert und in der Landkommune Spinat anpflanzt. In diesem Sinne bin ich nie ausgestiegen.
Sondern?
Ich habe mich entschieden, eines auszuhalten: ab und zu ohne soziale Sicherungsnetze zu leben - und mich davon nicht so doll schrecken zu lassen.
Auch wenn das Nichts lauert.
Ach was, Nichts. Es geht doch nur darum, gesellschaftliche Randständigkeit auszuhalten. Und die fängt bei einigen schon bei der lächerlichen Angst an, überhört zu werden und die Schnauze nicht mehr in Talk-Shows halten zu dürfen.
Sie definieren Ausstieg grundlegender.
Ja, als Konsequenz aus einer Abscheu vor der Gesellschaft.
Vor dieser Gesellschaft.
Ja, und diese Abscheu habe ich mir nicht aufgezwungen, da war kein asketischer Akt und kein theoretischer Druck. Es ist etwas, das ich nicht verdrängen konnte.
Was hat in Ihrem Gefühl stattgefunden?
Das Zerwürfnis mit den Verhältnissen. Es reicht, metaphorisch, eine Autobahnfahrt von Hamburg nach Bremen, um klar zu sehen, wie sich in diese Gesellschaft das Prinzip der Konkurrenz hineingefressen hat. Uns leitet ein Kalkül, das fast jede Begegnung auf Verwertung und Vorteile abtastet. Wenn das klar ist, weiß man, dass dieses Zerwürfnis nicht durch Disziplin zu mildern ist.
Haben Sie politisch das Vertrauen in den mündigen Bürger verloren? Sie betrieben Politik leidenschaftlich als Arbeit an der Bewusstseinserweiterung der Massen, aber das Volk, wie Brecht schrieb, vergleicht lediglich die Käsepreise.
Das Vertrauen in die Massen, ein Postulat nahezu aller Linker durch alle Zeiten - ich glaube, das geht nach Auschwitz nicht mehr. Vor Volksentscheiden habe ich regelrecht Angst. Aber aus verloren gegangenem Vertrauen in die Massen kurzschlüssig den Vorwurf zu konstruieren, mir sei egal, wie es den Massen gehe - das wäre niederträchtig.
Die Masse ist auch heute manipulierte Masse.
Ja, Verblödung ist ein gigantischer Industriezweig. Er übt auf die Leute einen Zwang aus, den sie jubelnd als Freiheit der Wahl missverstehen. Aber Herrschende hätten gern, und das ist ihr Zynismus, dass diese Dummheit, die sie mit ihrer Propaganda erzeugen, der Masse auch noch angerechnet wird, als quasi naturgegebenes Negativum.
Wie würden Sie Ihre Lebens-Kunst beschreiben?
Ich empfinde die Verhältnisse als bleiern, wir sollen unterm Deckmantel der Freiheit entgeistet werden, sollen anstrengungslos dumm sein. Ich möchte trotzdem morgens gern aufwachen und mich mit roten Wangen auf das freuen, was ich an diesem Tag tun werde. Ich sage mir: Such nach allem, was dich anstrengt, was dich überfordern will; lies was Schwieriges, entwickle Lust am Komplizierten; hak dich fest, wo du merkst: Das begreife ich nicht. An solcher Tätigkeit liegt für mich ein Glücksversprechen.
Sie treiben sich in der Kunst umher. Ist sie das einzig Wahrhaftige?
Ich bin ein strikter Gegner der Heroisierung dessen, was man aus allerlei Zufällen gerade selber macht.
Schön gesagt.
Jeder, der darauf erpicht ist, das eigene Handeln in einer Partei oder einer Gruppe zum jeweiligen Hauptkettenglied einer Weltnotwendigkeit zu erklären, wirkt auf mich töricht. Nein, statt Selbstsakralisierung sollte man bei allem, was man tut, lieber ein Bekenntnis zur Egozentrik und zum Subjektivismus ablegen. Man kann die theoretische Anstrengung ja aus gutem Grund heute zur notwendigsten »Hauptseite« erklären - aber man muss nicht auf jeder praktischen Anstrengung herumhacken.
Sie haben aber nicht resigniert, was die Idee des großen Umbruchs betrifft?
Mit großer gemeinsamer Kraftanstrengung ist es uns möglich, geschichtliche Hegemonien zu verschieben - für diesen Gedanken habe ich ein halbes Leben lang getickt. Dass es nichts wurde und ich dabei alt geworden bin, na und? Das heißt doch lediglich: Ich komme an ein Ende, die Idee noch lange nicht. Allerdings beteilige ich mich nicht mehr an einem Politikzirkus, in dem auch die Opposition am Nasenring läuft.
Die Bourgeoisie fühlt sich sicher.
Diese Unterstellung teile ich nicht. Ich empfinde die Bourgeoisie immer noch als die Klasse mit der arg übertriebenen Angst. Die hat die Hosen voll. Leider grundlos, wenn ich sehe, was sich Leute bieten lassen.
Haben Sie sich, als Linke, früher denn weniger gefallen lassen?
Wenn sie handeln, neigen Linke zur Selbstüberhebung. Hinterher neigen sie reuevoll dazu, sich zu verharmlosen. Ich kam aus dem Kommunistischen Bund, wir hatten mehrere hundert linksradikale Betriebsräte in Hamburgs Großbetrieben, und dass wir aus der Gewerkschaft flogen und dass es Entlassungen gab - das hatte schon Gründe, die an unserer realen materiellen Kraft lagen. Dem Feind ging der Arsch auf Grundeis. Der wilde Streik als Methode des Widerstands war mehr als nur ein Gespenst.
Der Unterschied zu heutigen Protesten?
Wir kämpften aus dem eigenen Alltag, aus den eigenen Produktionsbedingungen heraus. Heute fährt man zur Demo irgendwohin, aber das hat kaum unmittelbaren Bezug zum eigenen Leben … Ich merke schon wieder die Angst, zu hochtrabend von dem zu reden, was wir gemacht haben. Menschen im Nationalsozialismus, im Widerstand gegen Hitler, Kämpfer in Nicaragua, in Chile - die haben was reingehauen. Doch nicht wir. Ich habe ein paar Verlockungen dieser reichen Metropolengesellschaft ausgeschlagen und hatte also höchstens Kummer, ob ich meine Miete noch bezahlen kann. Mehr war nicht los. Und das muss man wirklich immer mitdenken, sonst kommt eine peinliche Pseudo-Tapferkeit ins Spiel. Drei Jahre wusste ich finanziell nicht ein noch aus, da habe ich das Programmheft der Hamburger Trabrennbahn geschrieben - in der Vorschau, welches Pferd garantiert gewinnt, und in der Nachschau, warum ein anderes gewonnen hat. So viel zum Heldentum.
Welches Verhältnis haben Sie zum Scheitern?
Das wird immer so gehandelt wie etwas Großes, als etwas Ehrenhaftes.
Ist es doch.
Ja, aber es gibt auch die Gefahr des trostreichen Wortes, wo es nicht angebracht ist. Das Scheitern hat schließlich eine objektive Seite. Jener alternative gesellschaftliche Anlauf, den wir versucht haben, ist in der Zwischenbilanz gescheitert. Punkt. Nun könnte man sagen: Immerhin hat es jetzt die Mutter mit dem unehelichen Kind leichter, und es fällt nicht mehr so schwer, schwul zu sein. Gut. Aber wir waren nicht nur Anhänger einer mählichen Modernisierung, wir wollten die Verhältnisse umwerfen. Das ist knallhart gescheitert, und mir fällt nicht ein, was ich da Tröstendes sagen sollte. Natürlich ist es wichtig, sich für den Mindestlohn einzusetzen, aber wer »Partei der Arbeit« sein will, befestigt kapitalistische Entfremdung. Mutig ist das nicht.
Sie sprachen von Distanz zu linken politischen Bewegungen. Aber Sie halten auch nicht überall Ihre Vorträge, treten nicht überall auf, Sie bevorzugen Milieutreue.
Ich möchte nicht vorm Schmutz fliehen. Ich will unbedingt dort bleiben, wo das Unzulängliche zu Hause ist. Obwohl ich weiß, dass in diesem linken Milieu das Mikro nicht funktioniert und der Schäferhund jede Pointe verbellt. Aber es sind Orte des Zweifels statt des Funktionierens. Dort ist etwas zu spüren, was mit kapitalistischer Produktionsweise unversöhnlich ist.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?
Es ist schlimm, aus einer armen Welt zu kommen. Ich komme aus der noch schlimmeren Welt: arm, aber sauber. Meine Großeltern, bei denen ich lange aufwuchs, verkörperten die aufstiegsbereite proletarische Bescheidenheit: Man schlägt nicht über die Stränge, ist fleißig, hat einen Nutzgarten. Mein Großvater war Kommunist, er durfte mir das nicht sagen. Ein Kommunist der lebensfeindlichsten Sorte: Er fühlte sich einzig dem Arbeitsethos verpflichtet. Meine Mutter war Schneiderin und durfte an der Staatsoper Hamburg die historischen Kostüme schneidern. Wenn Leute sagten, sie seien wegen Vietnam oder wegen der vielen Nazis in der BRD zu den Achtundsechzigern gestoßen - mich trieb noch mehr die Angst, ein solches Leben haben zu müssen, wie es bei uns daheim herrschte.
Zitat Thomas Ebermann: »Ich halte alles für falsch, was sagt: Kaufkraft stärken!«
Keynes und Marx - das ist eben ein Antagonismus. Ich halte auch alles für falsch, was sagt: Geld ist genug da, es muss nur anders verteilt werden. Ich glaube nicht an einen regulierten Kapitalismus, und wie gesagt, ich halte nichts von einer Philosophie, die beteuert: Hauptsache, gut bezahlte Arbeit! Es ist eine so unzureichende Kritik an dem, was Menschen auf dieser Welt angetan wird, wenn man die Problematik reduziert auf Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, finanzielle Knappheit. Meine Eltern hatten wachsenden Wohlstand und wurden doch ums Ganze betrogen. Sie waren zerfurcht von Verdinglichung, von Konkurrenz, sie arbeiteten, aber sie lebten nicht. Ich bin kein Politiker, und ich muss nicht in Legislaturperioden denken, ich kann weiter unverkrampft und unbestechlich denken: Es muss alles ganz anders werden!
Was Sie propagieren, ist das pure Einsamkeits-Programm: Mir nach, ich folge!
Das Programm war schon in der Welt. Alles ist von Menschen gemacht, also kann auch alles geändert werden. Radikales Denken wird laufend getötet. Tötung von Fantasie läuft in der republikanisch-bürgerlichen Gesellschaft über den Experten. Der Experte für richtige Ernährung, Mülltrennung und kritischen Konsum ist die sakralste Figur, seit Pfaffen unwichtiger sind. Es gibt das schöne Wort von Peter Hacks: Wir brauchen keine Zensur, wir haben Medien.
Wie Sie denken, denken wenige.
Haben Sie gezählt? Es gibt eine Welt, die ist zwar nicht mächtig, aber sie ist weit größer, als diejenigen denken, die das Wirkliche nur über jene Bilder wahrnehmen, die von Fernsehkameras produziert werden. Wenn man nicht anders kann, als linksradikal zu denken, dann muss man sich mit einem Platz am Rande der Gesellschaft anfreunden. Punkt. Ich habe meine Lust an Gesellschaftskritik vom Erfolg dieser Kritik abgekoppelt. So hält es sich einigermaßen aus.
Brecht nannte den Blick in ein freundliches Gesicht den Blick in eine »schöne Gegend«. Was macht den Menschen unschön?
Diese elementare, niederträchtige Hässlichkeit: Wo bleibt mein Bier! Bedienung! Hopp, hopp! Wenn im Menschen der Anteil des Kapitalistischen wächst, der Anteil jenes Anspruchs also, der mit Geld bezahlt ist - dann wird er abstoßend.
Thomas Ebermann, 1951 in Hamburg geboren, war Mitbegründer der »Grünen« und 1987/89 Fraktionssprecher im Bundestag. Als Vertreter des ökosozialistischen, linken Flügels trat er mit anderen 1990 aus Protest gegen die zunehmend »realpolitische« Tendenz der Grünen aus der Partei aus.
Er arbeitet als Publizist, Buchautor und Regisseur. Mit seinem ehemaligen Parteifreund Rainer Trampert begründete er die politisch-satirischen Lesungen »Sachzwang und Gemüt«. Für die Kleinkunstbühne Polittbüro von Lisa Politt und Gunter Schmidt in Hamburg gestaltet er die »Vers- und Kaderschmiede«. Kürzlich hatte auf Kampnagel sein kabarettistisches Theaterstück »Der Firmenhymnenhandel« Premiere. »nd« schrieb: »Knapp hundert Minuten Thesen-Dialoge, mit Zitaten von Adorno und Marcuse, mit Publikumsansprachen, die jene bedrängende Frechheit offenbaren, mit der Ratgeber, Gemütsfitness-Gurus und Selbstfindungsrauner jenen Platz besetzen, der früher der Philosophie gehörte.«
Über das Altern und das Ende sagt Ebermann: »Wer die Klassengesellschaft ablehnt, muss auch den Tod negieren. Der ist noch niederträchtiger als die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Damit im Zusammenhang lehne ich ab, irgendwas Schönes am Altern zu sehen. Vergreisung, Verwitterung ist unansehnlich.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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