»Kein unbegrenztes Wachstum«

Sachverständigenrat für Umweltfragen legt Gutachten 2012 vor

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) dringt angesichts der ökologischen Grenzen des Wachstums auf neue Rohstoffsteuern und Pfandsysteme für alte Handys und Computer. Das Gremium stellte am Montag in Berlin sein Umweltgutachten 2012 vor.

Anders als bei der eher theoretischen Diskussion der 70er Jahre über Grenzen des Wachstums scheint es so langsam ernst zu werden. Die nicht eben für Umweltengagement bekannte Internationale Energieagentur kam mittlerweile zu dem Ergebnis, dass zumindest für Ölvorräte an Land bereits im Jahre 2006 der Förderhöhepunkt gewesen ist. Engpässe bei speziellen Rohstoffen für die Elektronik oder auch effiziente Stromgeneratoren machen von sich reden und der CO2-Gehalt der Atmosphäre überschritt in den nördlichen Breiten Amerikas und Eurasiens erstmals seit Jahrtausenden die Marke von 400 Teilchen pro Million (ppm). Das bei den internationalen Klimagipfeln anerkannte Ziel, die globale Temperatur noch um höchstens zwei Grad anwachsen zu lassen, würde bei 450 ppm hinfällig.

Grund genug für eine umfassende Wende in unserem Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Während das aktuelle Krisenmanagement der Politik allenthalben auf Wachstum setzt - sei es durch Sparsamkeit oder neue Schulden - sprach der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen, Martin Faulstich, bei der Übergabe des Umweltgutachtens 2012 an den neuen Bundesumweltminister Peter Altmaier eine unbequeme Wahrheit aus: »In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben«, sagte er.

Und geht sofort auf einen der neuralgischen Punkte der deutschen Umweltpolitik ein: die ganz und gar nicht nachhaltige Mobilität. Im Gutachten wird vorgeschlagen, den Anteil des öffentlichen Nah- und des Radverkehrs in Städten aus Klimaschutzgründen von 20 auf bis zu 80 Prozent zu erhöhen. Mit Blick auf Treibhausgase, Überfischung und Bodenerosion warnt der Rat, dass ein ungehemmtes Wachstum auf Kosten von Umwelt und Ressourcen Umkippeffekte mit sich bringen könnte, »die gravierende Rückwirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hätten«. Daher gelte es neben dem Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien die Wiederverwertung von Rohstoffen zu stärken - etwa indem alte Handys per Pfandsystem zurückgegeben werden und die enthaltenen Metalle wiederverwendet werden können.

Der Sachverständigenrat fordert auch eine Primärbaustoffsteuer, um den Abbau mineralischer Rohstoffe in Deutschland zu reduzieren und eine höhere Wiederverwertungsquote zu erzielen.

Anders als der SRU sehen die Umweltverbände allerdings tatsächlich eine Epochenwende zu einem verringerten Wachstum, womöglich gar mit stagnierendem Bruttosozialprodukt. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) veranstaltet am kommenden Wochenende gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Evangelischen Kirche in Deutschland einen Transformationskongress, um durch die Zivilgesellschaft mehr Druck auf die Politik auszuüben, damit diese nicht nur den Tagesproblemen hinterherhetzt. DNR-Präsidiumsmitglied Michael Müller konstatierte als zentralen Mangel des bisherigen Krisenmanagements das Fehlen eines umfassenden Konzepts gesellschaftlicher Veränderungen von Mobilität bis Ernährung, von Regulierung der Finanzwirtschaft bis zu einem nachhaltigen Wettbewerbsrecht und einer sozial gerechten Verteilung der Lasten des Umbaus zu einem Wirtschaftssystem, das die Naturressourcen tatsächlich nachhaltig nutzt.

So habe die EU zwar 1,6 Billionen Euro zur Bankenrettung eingesetzt, aber versäumt, den Finanzsektor so zu regulieren, dass er wieder an die Realwirtschaft gekoppelt wird. Das Aktienrecht müsse ebenso wie das Zivilrecht so novelliert werden, dass die Unternehmen auf den Schutz der Gemeingüter verpflichtet werden. Bei den großen Parteien finde man da bisher leider nur teilweise Gehör. So seien Grüne und LINKE dafür, SPD und Unionsparteien aber nur teilweise. Ungewöhnlich genug für eine Umweltorganisation, spricht man sich beim DNR auch für grundlegende Veränderungen beim Steuersystem aus. Bei der Wende zu einer Post-Wachstumsgesellschaft dürften Vermögenssteuern kein Tabu mehr sein.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.