Streit über die Netzkosten
Gerichtsurteil mit unklaren Folgen
Die Strom- und Gasnetze in den einzelnen Regionen sind natürliche Monopole - es gibt keine parallelen Leitungen konkurrierender Betreiber, weil dies schlicht zu teuer wäre -, doch sie werden nicht mehr vom Staat, sondern von privaten oder kommunalen Unternehmen betrieben. Die EU-weite Liberalisierung des Energiemarktes machte daher eine neue staatliche Aufsicht über diesen Sektor notwendig. Seit dem Jahr 2005 ist die Bundesnetzagentur auch für die Betreiber der Strom- und Gasnetze die oberste Regulierungsbehörde. Damit die Unternehmen ihre Monopolstellung nicht für überhöhte Preise nutzen, kontrolliert und genehmigt die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstehende Behörde die Entgelte für die Durchleitung von Strom und Gas, welche die Netzbetreiber den Versorgern und diese letztlich den Endverbrauchern in Rechnung stellen.
Da die Kostenermittlung äußerst komplex ist, hat die Regulierungsbehörde Kriterien für die Preisfestsetzung der Netzbetreiber festgelegt, gegen die vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf nun mit Erfolg geklagt wurde. Tatsächlich gehen die Interessen diametral auseinander: Die Netzbetreiber streben möglichst hohe Erlöse an und rechtfertigen dies mit den hohen Kosten von Instandhaltung, Modernisierung und Netzausbau. Kritiker bemängeln jedoch, hierbei sei in den letzten Jahren nur dass Nötigste getan worden. Die Netzagentur dagegen hat sich als Ziel »Anreize zu mehr Effizienz und frühzeitige Kostensenkungen für die Kunden« auf die Fahnen geschrieben. Trotz fehlenden Wettbewerbs im Netzbereich will sie für möglichst niedrige Strom- und Gaspreise sorgen. Im Jahr 2010 verdonnerte sie zudem zahlreiche Netzbetreiber zur Rückzahlung von mehr als zwei Milliarden Euro an zu hoch angesetzten Durchleitungsgebühren an die Stromversorger.
In der jetzt erstinstanzlich entschiedenen Klage von fast 300 Strom- und Gasnetzbetreibern aus dem gesamten Bundesgebiet ging es um einige Details der im Jahr 2007 von der Netzagentur festgelegten Berechnungsmethode. Ausschließlich auf dieser Grundlage konnten die Netzbetreiber rückwirkend für die Jahre bis 2006 und später für die Jahre bis 2010 ihre Anlagekosten und Abschreibungen in den Entgelten berücksichtigen. Dazu zählen etwa die anfallenden Lohnkosten. Die Behörde orientierte sich dabei am Index der Gehälter des Produzierenden Gewerbes. Die klagenden Netzbetreiber hingegen wollen auf den Gehaltsindex des Baugewerbes abstellen, der sich stärker erhöhte als der in der Industrie insgesamt. Dadurch könnten sie nachträglich höhere Lohnkosten in den Netzentgelten geltend machen und Nachzahlungen verlangen. Außerdem bemängelten sie, dass die Netzagentur von zu starken (kostenmindernden) Produktivitätsfortschritten ausgeht. Beim Verlegen von Leitungen seien solche aber praktisch nicht möglich.
Um sich ein besseres Bild zu machen, beauftragte der 3. Kartellsenat des OLG Düsseldorf das Statistische Bundesamt, die aufgeworfenen Fragen in einem Gutachten zu prüfen. Bereits bei der Verhandlung Ende März hatte der Vorsitzende Richter Wiegand Laubenstein durchblicken lassen, dass er die Berechnungen der Bundesnetzagentur für nicht ausreichend plausibel halte. Entsprechend heißt es jetzt in der Urteilsbegründung, im Ergebnis sei »zum Nachteil der Unternehmen kalkuliert worden«. Insbesondere bemängelt das Gericht, in der Berechnungsmethode seien Unsicherheiten etwa bezüglich der Neuwerte bestimmter »netzspezifischer« Gerätschaften und Anlagen »nicht genügend berücksichtigt« worden.
Die finanziellen Auswirkungen des Urteils, sollte es rechtskräftig werden, sind kaum absehbar. Zahlreiche Netzbetreiber behandeln den Streitwert als Betriebsgeheimnis. Einzelne Unternehmen sollen bis zu sechs Millionen Euro pro Jahr verlangen. Die Netzbetreiber wollen über fünf Jahre verteilt ihre Nachforderungen bei den Versorgern in Rechnung stellen. Das jetzt entschiedene Verfahren betrifft den Zeitraum bis 2006. Es sollen aber auch Nachforderungen für die Jahre bis 2010 folgen.
Möglicherweise wird das Urteil erst in weiterer Zukunft für die Stromkunden richtig schmerzhaft werden. Im Zuge der Energiewende ist ein gigantischer Stromnetzausbau geplant, dessen Kosten über die Netzentgelte auf den Verbraucher umgelegt werden.
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