Versöhnung mit C-Schlauch

Gysi und Lafontaine demonstrierten beim gemeinsamen Auftritt die Einheit der Linkspartei

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Donnerstagabend traten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine erstmals seit dem Parteitag in Göttingen gemeinsam in einer Veranstaltung auf. Der Ort war feinsinnig gewählt, die Auferstehungskirche in der Friedensstraße in Berlin bot den symbolträchtigen Rahmen für eine Demonstration der Einheit.

Bei der Behandlung posttraumatischer Belastungsreaktionen werden Intrusionen erzeugt, also das erneute Durchleben der traumatischen Situation provoziert. Schwer zu sagen, ob der Abend in der Auferstehungskirche zuerst den beiden Führungsleuten der LINKEN oder ihrem Publikum eine Möglichkeit der Verarbeitung bieten sollte. Wie vor zwei Wochen in Göttingen sprach erst Gregor Gysi, dann Oskar Lafontaine. Gysi selbst machte auf einen entscheidenden Unterschied aufmerksam: Heute lese er seine Rede nicht Wort für Wort vom Blatt ab. Dies hatte den Delegierten vor zwei Wochen vom ersten Moment den Ernst seiner Botschaft signalisiert: Freiredner Gysi las vom Blatt ab. Zum Entsetzen Lafontaines hatte Gysi einen pathologischen Zustand der Bundestagsfraktion konstatiert, seine eigene Vermittlerrolle in der Partei wie als Chef der Fraktion in Frage gestellt, kulturelle Unterschiede von Ost und West in den eigenen Reihen erstmals nicht versöhnlich, sondern als ernstes Problem angesprochen und mit der Aussicht auf eine friedliche Trennung der Partei ein verletzliches Tabu berührt. Heute, am Donnerstagabend, begann Oskar Lafontaine seinen Auftritt mit der entspannten Bemerkung, er sei in der »glücklichen Situation, jeden Satz von Gregor unterstützen zu können«.

In Göttingen war für viele zum ersten Mal ein Bruch im Verhältnis der beiden Spitzenleute der LINKEN sichtbar geworden. Lafontaine hatte Gysi deutlich widersprochen und gefordert, das Wort »Spaltung« nicht mehr in den Mund zu nehmen. Am Donnerstag nun waren sich beide einig: Die LINKE ist so nötig wie nie zuvor, so Gysi. Die LINKE darf vor der gewaltigen Aufgabe, die vor ihr steht, nicht versagen, so Lafontaine. Angesichts ihrer Verantwortung dürfe sich die LINKE nicht mit sich selbst beschäftigen, so Lafontaine. Jetzt müsse es der LINKEN um die reale Politik gehen, so Gysi. Der Aufbruch der Linkspartei, an diesem Abend in der Auferstehungskirche war er schon ganz nahe. Sicherheitshalber äußerte sich Gysi leise und zurückhaltend über einen kleinen Umfrageschub der letzten Tage; »man wird sich doch noch mal freuen dürfen«. Auch Bernd Riexinger, der neue Parteivorsitzende, der in die Kirche gekommen war, um im Sinne der neuen Führungskultur die Kunst des Zuhörens zu üben, hatte sich auf der ersten Pressekonferenz zu Wochenbeginn schon leise über einen Mitgliederzuwachs in der ersten Woche nach dem Göttinger Parteitag gefreut.

»Ursachen und Lösungswege für die europäische Finanzkrise« war das Thema des Abends, geeignet, die gewaltige Größe der Aufgaben und damit der Pflicht zum inneren Frieden zu beschwören, die vor der Partei stehen. Um den Krisenbrand in Europa zu löschen, benutze die Bundeskanzlerin das kleinste aller zur Verfügung stehenden Schläuche und wolle dabei zudem immer noch Wasser sparen. Dabei brauche es jetzt das größte, das C-Rohr, um alles verfügbare Wasser auf den Brandherd zu lenken, wetterte Lafontaine. Das größte Rohr war dem Feuerwehrmann Lafontaine die Europäische Zentralbank, die ihre Löschmilliarden auf direktem Weg, ohne Umweg über die Banken, an die Staaten reichen solle. Regulierung der Finanzmärkte, Verkleinerung der Großbanken, Vermögensteuer, Direktkredite, Marshallplan für arme Länder - kein Blatt Löschpapier passte zwischen die beiden Linkspolitiker. Was offenbar auch den Berliner Landesvorsitzenden Klaus Lederer freute, der den Abend moderierte und nicht zu den Intimfreunden Lafontaines gehört. Auf seinen Appell, nicht nur die großen Aufgaben der Partei im Auge zu haben, sondern auch die Demo gegen Rechts am Wochenende, zu der er alle einlade, reagierte Lafontaine mit verschlossenem, aber nicht unfreundlichem Gesicht.

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