Wien!
Peymanns BE: Biergarten-Ensemble
Mit dem Sommer, so scheint's, lüftet das Theater alljährlich ein Geheimnis: Es ist gar nicht immer so böse, so verstörend, so blutig, so entbrannt, so hämmernd, wie es eine ganze lange Saison getan und getobt hat. Nein, es kann ganz leicht sein, luftig, es lächelt entspannt, es nennt sich zwischen Salzburg und Bad Segeberg »Festspiel« - es wird plötzlich so wundersam gleichgewichtsbesorgt, als wolle es selber Urlaub machen von einem Leben, das ständig voller schwerer Fragen ist.
Das BE bietet derzeit ein farbig komponiertes Wien-Festival und lud im Rahmen dessen zum Abend »Wiener Lieder«. Claus Peymann hat den Theaterhof in einen Biergartenlaubzaun gepresst, es gibt Heurigen, den jungen Wein also, der mit dem leichten Kopfschmerz verbandelt ist (pro Eintrittskarte erhält man ein Glas gratis), oder man holt sich aus der Kantine ein Seidel oder Krügerl »Ottakringer«, hopfiges Wiener Bier, nur die Buletten sind weiter berlinisch, also hart und bröselig.
Jutta Ferbers hat Texte aus drei Jahrhunderten zusammengestellt und Regie geführt, Karl-Ernst Herrmann baute eine Pawlatschenbühne zwischen die Hofbäume. Es agieren fünf stoisch gute Musiker und dazu singspielen toll patschige, pantomimische, pierrot-possige, praterpampige, parodiepfiffige Akteure, die Damen Nichols und Senckel, die Herren Klinger, Wittmann, Thieme. Es ist alles grell und galant, gütig und garstig, alles klein und eng wie die große Welt. Grotesk-chaplinös der Clown Veit Schubert, arienvirtuos die Lieblichkeit Katharina Susewind. Ruth Glöss und Gerd Kunath, Page und Caféhaus-Kellner: zwei Alterskinder, es ist da ein trotziges, zitterndes Schweben über allen irdischen Scherben.
Der Hof des BE ist eine Legende für sich, hier machten klügste Köpfe Pause; die beiliegende Kantine hatte einst hellgescheuerte Holztische und lederne Brecht'sche Stühle, man saß darin, als spielte man selber mit im »Galilei« oder »Coriolan«. Ach, lang vorbei, man möchte melancholisch werden, man muss es sogar!, denn Wiener Lieder verpflichten dazu, sie lügen so weltgekonnt die Wehmut herbei, dass der Schmalz wie Regen tropft - der am Premierenabend einsichtsvoll oben blieb: So gut kann er nicht tropfen. Wo's schrammelt, wie jetzt hier, da rammt und rammelt immer irgend etwas an der Wahrheit des Lebens vorbei und sagt sie auf diese Weise nur krasser. Im Hof steht noch die große hölzerne Brecht-Figur von Karl-Ernst Herrmann, schaut herab, und die Sprechblase grüßt: »Glotzt nicht so romantisch!« - Doch, machen wir, so eine Wiener Stunde macht Lust auf schön geheucheltes, besoffenes Gefühl, man steht im Wiener Lied so fesch neugierig und so galant feige im falschen Leben, zeigt Herz (»Krüppel ham so was Rührendes«), ist ganz Sissi und Kaiser Franz und hat klare Begriffe vom Sinn des Daseins: »A Glaserl, a Stamperl, a Trankerl, a Schluckerl, a Spritzerl, a Schwipserl, a Räuscherl ...«. Es wird die Reblaus besungen, und: »Das Glück ist a Vogerl«, das Herz ein Käfig, und Mensch und Tod, diese zwei Schweinehunde, san »Brüderl« - das Morbide ist schwelgerisch, als wäre es ein Blühen im Frühling. Die Donau ist blau, und der Weaner oft auch.
Dabei lacht man, ist aufgekratzt jämmerlich und selig unglücklich - und einer stampft, stakt, kasprig blöd und bieder, also gefährlich durch die Szenerie, ein Gemüt zwischen Lodentracht und Niedertracht, mit Nationalfähnchen natürlich, und ein Hitlerbärtchen findet an diesem Abend auch seine Oberlippe. Alles dreht sich schwungvoll im Kreis, bis Kreisler zum Taubenvergiften aufruft, und bei Tauben bleibt der Mensch bekanntlich nicht stehen, er hat, wenn's ums Vergiften der Atmosphäre geht, die hochfliegendsten Pläne - und deshalb weiß man noch immer nicht, ob Picassos Taube, die diesem BE zum Hoheitszeichen wurde, freudig heranfliegt oder zur Flucht ansetzt.
Drüben am Haupthaus sitzen ebenfalls Wiener, die Marianne, der Oskar (»du wirst meiner Liebe nicht entgehen!«), und der Zaunkönig: zufällig ist dort Abendprobe für Horváths grausame »Geschichten aus dem Wiener Wald« - die kostümierten Schauspieler rauchen und plauschen, und das Leben nimmt der Kunst die Pointe voraus: Keinem sieht man an, dass er ein Teufel ist.
Es bleibt Spekulation, wie Thomas Bernhard auf diesen Abend reagiert hätte, er wollte auf dem Burgtheater eine Fahne mit der Losung hissen: »Mord und Totschlag«. Im Grunde handelt noch das lieblichste Wiener Lied von genau dieser fiesen Praxis. Wien gehört zum BE: Peymann hat diese seine Glücksstadt im Grunde nie verlassen, und Brecht besaß den österreichischen Pass. Der BE-Gründer wusste, sich die Welt offen zu halten. Ein windiges Subjekt? Nie und nimmer!, das ist ein gar barsch richtendes Deutsch - sagen wir's wienerisch: a Schlawiner!
Nächste Vorstellung: 30. Juni
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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