Spanier fordern Rettung - für Arbeiterfamilien
Zehntausende demonstrieren gegen Regierungspolitik, doch Premier Rajoy verweigert Rechenschaft
Spaniens Banken sollen mit bis zu 100 Milliarden Euro gestützt werden. Dagegen will die Regierung allein im Gesundheits- und Bildungsbereich jährlich zehn Milliarden Euro einsparen. Und die Arbeitslosigkeit, ohnehin bei 24 Prozent, nimmt weiter zu. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen ihren Unmut äußern. Besonders heftig protestieren seit nunmehr fast vier Wochen die Bergarbeiter.
Sie befinden sich im unbefristeten Streik, und auch am Donnerstag kam es in Asturien und Kastilien-León wieder zu Zusammenstößen mit der paramilitärischen Guardia Civil. Erneut hatten Kohlekumpel Autobahnen, Straßen und Bahnverbindungen durch brennende Barrikaden blockiert. Anrückende Sicherheitskräfte, die Gummigeschosse und Tränengas einsetzten, wurden mit Steinschleudern und Feuerwerksraketen beschossen. Die Bergleute fordern, dass die rechte Regierung den »Kohlepakt« einhält. Denn entgegen den Vereinbarungen des Paktes wurden die Kohlesubventionen 2012 um 63 Prozent gekürzt. Erwartet wird, dass viele der gegenwärtig noch 47 Gruben - und mit ihnen ganze Regionen - zum Sterben verurteilt sind. Am Freitag wollen sich die Kumpel auf einen »Schwarzen Marsch« begeben, um ihren Protest nach Madrid zu tragen.
In der Hauptstadt demonstrierten am Mittwochabend bereits gut 30 000 Menschen gegen Sparprogramme. Es war die größte von fast 60 Demonstrationen, zu denen die großen Gewerkschaftsverbände aufgerufen hatten. Auf der Kundgebung in Barcelona wurde der Kampf der Bergarbeiter als beispielhaft gelobt. Der katalanische Generalsekretär der Arbeiterunion (UGT) bekam von Tausenden Teilnehmern starken Applaus, als er deren Kampf als »historisch« bezeichnete. »Sie werden ihn gewinnen«, verhieß Josep Maria Álvarez.
Für seinen Kollegen von den Arbeiterkommissionen (CCOO) geht es jetzt darum, »die Apathie zu überwinden und die Straße zurückzugewinnen«. Man habe es mit einer »inkompetenten und lügenden Regierung zu tun«, sagte Joan Carles Gallego. Es könne nicht sein, dass Banker gerettet werden, während Arbeiterfamilien ins Elend stürzen. Die Regierung sei davon »besessen«, soziale und demokratische Rechte abzuschaffen.
Erwartet wird, dass auf den offiziellen Hilfsantrag zur Bankenrettung neue harte Einschnitte folgen. Die Zinsen für die Finanzhilfe belasten den Haushalt mit drei bis vier Milliarden Euro jährlich. Um aber das Defizit abzubauen, hat der Internationale Währungsfonds (IWF) gefordert, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und die Gehälter der Staatsbediensteten zu senken. Der IWF gehört wie die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) zur Troika, die wie in Griechenland, Irland und Portugal die Einhaltung der Auflagen prüft.
Die Lage für Spanien hat sich in dieser Woche weiter zugespitzt. Wie am Dienstag musste das Land am Donnerstag erneut Rekordzinsen für neue Staatsanleihen bezahlen. Zinsen von mehr als sechs Prozent für fünfjährige Anleihen kann es sich nicht leisten. Experten erwarten, dass nach dem Antrag zur Bankenrettung an den Euro-Rettungsfonds bald das gesamte Land unter den Rettungsschirm kriechen muss, weil es sich am Kapitalmarkt nicht mehr finanzieren kann. Doch Spaniens rechter Regierungschef Mariano Rajoy kündigte am Mittwoch an, die vor der Sommerpause übliche Debatte zur Lage der Nation ausfallen zu lassen. »Die Regierung, die den Bürgern täglich neue Opfer abverlangt, hat die moralische Pflicht, ihnen diese Entscheidungen zu erklären. Dies zu vernachlässigen heißt, die spanischen Bürger wie Minderjährige zu behandeln«, kritisierte selbst die konservative Zeitung »El Mundo«.
Blog zum Thema: Spanien am (zubetonierten) Boden
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