Die falschen Mittel zur Lösung der Krise
Demonstration für soziale und ökologische Gerechtigkeit am Rande des UN-Gipfels »Rio+20«
Anlässlich eines globalen Aktionstages am Mittwoch hatte der »People's Summit« zu einer Großdemonstration im Zentrum Rio de Janeiros aufgerufen. Gut 20 000 Menschen versammelten sich an der Candelária-Kirche und zogen über die Avenida Rio Branco zum Platz Cinelândia, der schon zur Zeit der Militärdiktatur Schauplatz großer Protestaktionen gewesen war. Trotz Nieselregens war die Stimmung ausgelassen, die Redebeiträge unter dem Motto »Für soziale und ökologische Gerechtigkeit. Gegen die Vermarktung des Lebens und für die Verteidigung der öffentlichen Güter« kämpferisch.
Der Demonstrationszug war gespickt mit Transparenten und roten Fahnen. Die Teilnehmer forderten ein Ende der Bankenmacht und eine Wirtschaft, die den Menschen und nicht dem Kapital dient. Im Block der Landlosenbewegung stand die Forderung nach Agrarreformen und die Kritik am Konzept der »Green Economy« im Mittelpunkt. Gentechnik und Konzerne wie Monsanto oder Bayer wurden für mangelnde Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft verantwortlich gemacht.
Auch mit der Gipfelgastgeberin, Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, gingen die Demons-tranten hart ins Gericht: Eine Statue zeigte sie als Yankee, Plakate forderten sie auf, ihr halbseidenes Veto gegen das neue Waldgesetz in ihrem Land zu überdenken und den »Freibrief für Abholzung« zu verhindern. »Sofortigen Baustopp für Angra 3«, den dritten Meiler des Kernkraftwerks bei Angra dos Reis, forderten Aktivisten der brasilianischen Anti-Atom-Bewegung.
Die vielen Themen, die seit dem 15. Juni auf dem »People's Summit« parallel zur UN-Konferenz »Rio+20« diskutiert werden, waren auch auf der Demo präsent. Über die Einigung vom Dienstag auf einen Entwurf für eine nahezu nichtssagende Abschlusserklärung des Gipfels wurde am Rande des Zuges am meisten diskutiert: »Was für ganz Brasilien ein Scheitern ist, stellt Dilma als Erfolg dar«, beschwerte sich Greenpeace-Aktivist Paolo Adário, der sich mit Kollegen aus vielen Ländern für eine »Null-Abholzung« im Amazonasgebiet stark machte. Die Argentinierin Esther Carillo zeigte sich zumindest nicht enttäuscht: »Ich habe keinerlei Erwartungen an die offizielle Konferenz gehabt. Deswegen engagiere ich mich auf dem ›People's Summit‹, wo wir ernsthaft über die Ursachen der Umweltprobleme diskutieren und andere, zukunftsweisende Lösungswege vorschlagen.«
Schwarze, Frauen, Indígenas, Hausbesetzer, Müllsammler und Studenten waren ebenso präsent wie namhafte Nichtregierungsorganisationen wie Attac, SOS Klima oder WWF. Auch Parteien und Gewerkschaften nutzten die Chance, sich als Sprecher der Zivilgesellschaft in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit darzustellen. Die Demonstration spiegelte wie der »People's Summit« den überraschend breiten Konsens von sozialen Bewegungen und Umweltorganisationen in Bezug auf »Rio+20« wider. Es gehe nicht um die Frage, ob die UN-Konferenz konkrete Beschlüsse fasst, sondern um die Überzeugung, dass dort schlicht die falschen Mittel und Maßnahmen zur Lösung der Krise diskutiert werden. So lehnen die versammelten Aktivisten die »Grüne Wirtschaft« rundweg ab, da sie auf einer Privatisierung von Natur und Gemeingütern basiert. Dem Postulat des Freihandels wird effektive Regulierung gegenüber gestellt. Statt industrieller Landwirtschaft mit Agrosprit und Gentechnik wird für ökologische und kleinbäuerliche Landwirtschaft plädiert. Auch das Wachstumspostulat wird in Frage gestellt, in der Überzeugung, dass andere Konsummuster und eine gerechte Wohlstandsverteilung der einzige Weg zu Nachhaltigkeit sind.
Schon am Mittwochmorgen fand die erste Demonstration des Aktionstages statt. In der von der Räumung bedrohten Favela »Vila Autódromo«, nur 800 Meter vom offiziellen Konferenzgelände entfernt, versammelten sich rund 1500 Aktivisten zu einer Kundgebung. An die Absprache mit der Polizei, nicht Richtung Konferenzzentrum zu marschieren, hielt sich eine Gruppe Indígenas nicht. Sie stellten sich den schwer bewaffneten Polizisten und Militärs entgegen, um den ankommenden Staatsoberhäuptern eine Petition zu übergeben. Nach Vermittlung eines brasilianischen Ministers wurde einer kleinen Delegation erlaubt, bis zum Konferenzort zu laufen. Den Gipfelbeginn haben sie nicht gestört, ebenso wenig wie die 30 akkreditierten Aktivisten, die im Gebäude selbstgemalte Plakate hochhielten, um eine Revision des Entwurfs des Abschlussdokuments zu fordern.
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